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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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waren Sie Okkupanten, Mörder. Und
das war kein fremder Krieg, sondern Ihrer.
    Antwort: Ist nicht
wahr. Das hatte alles nichts mit mir zu tun. Zuerst gar nichts. Als wir
ankamen, war es Winter, kein Schnee, aber der Wind ging durch bis auf die
Knochen, wir froren in den Wattejacken, und dort gehen sie barfuß. Ich hab
damals zum ersten Mal gesehen, wie Holz kiloweise verkauft wird. Genau
abgewogen, mit viel Streiterei. Die Häuser in den Kischlaks sind gewissermaßen
aus Sand gebaut. Bauern laufen in zerschlissenen Kitteln herum, nirgends
Frauen, vor den Läden kauern Männer, die genauso gut Bettler sein könnten wie
Ladeninhaber. Und was es nicht alles gab in den Regalen: japanische
Tonbandgeräte, Fernseher, Uhren in allen Varianten, französische Parfüms. Es
war zu Anfang keine besondere Feindseligkeit festzustellen. Nur alles sehr
fremd. Ich weiß noch, wie fassungslos wir waren, als wir einen Dekkaner hinter
seinem Ochsengespann mit dem Pflug herlaufen sahen, und an den Hörnern des
Ochsen baumelte ein Kassettenrekorder, aus dem schwermütige Musik plärrte. Und
dann kriegst du allmählich mit, dass doch alles ganz anders ist: Die kleinen
Jungs sind keine kleinen Jungs, die Bauern keine Bauern. Da rennen diese
barfüßigen Bengel hinter unserem Schützenpanzer her und rufen: Schurawi, gib
Bakschisch! Die erste Zeit haben wir denen noch Konserven hingeworfen:
Schmalzfleisch, gezuckerte Milch. Dann hab ich meinen ersten Toten gesehen, der
war nicht älter als zwölf und hatte neun Kerben am Gewehrschaft - neun von
unseren Jungs auf dem Kerbholz, hieß das. Und wie dann immer mehr Kameraden zu
Tode kamen, oft solche, mit denen man sich gerade angefreundet hatte, da ging
das los. Dass man diese Rachegelüste bekam. Besonders für diejenigen von uns,
die sie gefangen nahmen - was sie denen antaten. Und man hatte schreckliche
Angst, selber in diese Lage zu geraten. Wohingegen die Gefangenen, die wir machten,
den Eindruck erweckten, als freuten sie sich darauf, den Löffel abzugeben. An
den ersten erinnere ich mich noch gut: Verwundet, dreckig, die Hände mit Stacheldraht
auf dem Rücken gefesselt, saß er vor uns und strahlte absolut keine Angst aus.
Die Schicksalergebenheit in Person. Entrückt und gelassen. Das wirkte auf uns
ziemlich deprimierend. Und wir ließen uns hinreißen. Einer versetzte ihm einen
Tritt, der Nächste einen Stoß mit dem Gewehrkolben, es steckte regelrecht an.
Später kriegten wir mit, dass es die letzte Kugel war, der sie gefasst und mit
Würde entgegensahen, während sie eine panische Angst vor einem unblutigen Tod
hatten: ersäuft, erwürgt oder erhängt zu werden. Also ließen wir sie unter die
Räder kommen, drückten sie unter Wasser - all das, was sie am meisten
fürchteten.
    Da fingen
sie endlich an zu winseln, zu brüllen und zu zappeln. Was uns erst recht
enthemmte. Die Arme wurden mit dem Turbantuch zusammengebunden, oftmals nach
hinten gestaucht zur sogenannten »Schwalbe«, bei der der Gefangene weder Arme
noch Beine rühren konnte. Unsere Anspannung war so gewaltig und so permanent,
dass man sich irgendwie abreagieren musste. Wenn wir gerade nicht im Einsatz
waren, wohnten wir in Containern, und es war klar, dass man den Nachbarn
täglich irgendeinen Streich zu spielen hatte. Einmal schmierten wir ihnen die
Decke mit süßer Milch ein - du kannst dir nicht vorstellen, wie viele Fliegen
da saßen... Dafür hängten sie uns einen Waschkübel über die Tür - beim
Eintreten ergoss er sich über dich. Oder der Reaktionstest: Eine von diesen
Übungsgranaten wurde grün angestrichen und in die Bude nebenan geworfen - um zu
sehen, wie sie reagierten. Zum Totlachen! Der eine versteckte sich unterm
Laken, der andere hinter einer Zeitung. Ohne solche Scherze hält man es nicht
aus. Denn nachts gibt es Alarm, und keiner weiß, wohin es geht. Einmal
riegelten wir mitten in der Nacht einen Hohlweg ab und warteten, ohne zu
wissen, auf wen. Dann kam da eine Karawane mit Packeseln. Wir das Feuer
eröffnet. Dabei waren es Bewohner eines Kischlaks, die Äpfel zum Markt
brachten. Man hatte sie gewarnt von wegen Polizeistunde, sie waren trotzdem
losgegangen. Um rechtzeitig auf dem Basar zu sein. Und wie wir da also hinkamen
und sahen die verstreuten Äpfel, rund und reif und schön, das war so bitter,
diese friedlichen Zivilisten da liegen zu sehen, aufgrund eines Irrtums.
Niemand von uns hat sich nach den Äpfeln gebückt. Kein einziger wurde
aufgehoben. Die blieben da liegen.
    Frage: Aber

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