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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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dem groß erzählen. Hat sich in Luft aufgelöst.
    Frage: Erzählen
Sie nur! Er hat Sie immerhin geliebt. Nur Töchter zu Hause, immer von einem
Sohn geträumt. Und da kamen Sie mit Ihrem störrischen Charakter.
    Antwort: Er hatte
ja seinen Spitznamen danach. Dass er von allen in der Gruppe der Vater hätte
sein können. Die wandelnde Legende der Abteilung. Man durfte annehmen, dass der
Alte noch weiland dem türkischen Sultan einen Brief geschrieben hatte und die
falschen Dimitris gejagt, erst Grigori Otrepjew und dann den Schelm von
Tuschino. Es hieß, er habe einmal eine alte Frau aus einem Eisloch gerettet.
Die sei aber anschließend wieder hineingestiegen. Sie war in einer Sekte und
glaubte, wenn sie an einem Seil von einem Eisloch zum anderen tauchte, so quasi
als Neutaufe, dass dann ein neuer Mensch aus ihr würde, die alten Sünden
blieben zurück im alten Leben, und man tauchte als Neugeborenes im neuen Leben
auf. Jedenfalls, als ich mitbekam, worum es wirklich ging, da stöberte ich im
Archiv nach den von Daddy zur Strecke gebrachten Fällen. Und wollte meinen
Augen nicht trauen. Gleich, nach welcher Kladde ich griff, ich brauchte nur ein
bisschen blättern, und es war sonnenklar: Auftragsmord! Sagen Sie selbst: ein
Mensch in Handschellen, dem jemand den Kopf abgebissen hat. Und geht als
Selbstmord zu den Akten. Wobei auf den beiliegenden Fotos überall Krallenspuren
zu erkennen sind. Ganz klar von dem Untier! Ich konnte nicht widerstehen und
bin zum Tatort gefahren, da gab es eine Blutspur. Im frischen Schnee! Ich
folgte ihr, sie führte mich quer über die Straßenbahngleise zum Haus am Platz.
Wo alle städtischen Institutionen unter einem Dach versammelt sind: Polizei,
Gericht, Bürgermeisteramt, Post und Sparkasse. Es heißt genau so: Haus am
Platz. Wo man geruhsam seinen löslichen Kaffee trinkt, während draußen vor dem
Fenster die Straße in Auflösung ist. Und die Spur führt geradenwegs die Stufen
hinauf ins Haus hinein. Gut sichtbar für jedermann. Alle sind Zeugen. Ich frage
die Leute: Seht ihr denn das nicht? Und sie nicken: Jaja, das Untier. Ich schrieb
einen Bericht: So und so, ich beantrage, den Fall zur Nachermittlung
zurückzuverweisen.
    Frage: Fühlten
Sie sich als Held?
    Antwort: Nein. Oder
höchstens ein bisschen. Was ich getan hatte, wurde mir erst hinterher klar.
Damals passierte es sozusagen im Eifer des Gefechts. So als wäre ich
tatsächlich als Krimiheld zum Leben erwacht. Und das Aufstehen am Morgen machte
auf einmal Spaß. Das war etwas anderes, als Streife zu fahren von einer Kneipe
zur anderen! Damals war ich noch der Auffassung, dass im Leben ständig etwas
passieren muss.
    Frage: Wurde der
Fall wieder aufgerollt?
    Antwort: Ja, nur
nicht so bald. Erst mal rief Daddy mich zu sich.
    So
erschrocken hatte ich ihn noch nie gesehen. Der Abzählreim sah ihn in den Armen
eines großen Teddys...
    Frage: Drei
kleine Negerlein gingen am Zoo vorbei, das eine hat der Bär umarmt, da warens
nur noch zwei...
    Antwort: ... Er
dachte, es wäre so weit.
    Frage: Was hat er
gesagt?
    Antwort: Er sagte:
Wir essen Rindfleisch. Die Kuh frisst Gras. Das Gras frisst uns.
    Frage: Das war
alles?
    Antwort: Nein.
Hätte der Stein ein Bewusstsein, fügte er noch hinzu, dann dächte er wohl, er
fiele aus freien Stücken zur Erde. Und dächte er das nicht - er fiele trotzdem.
    Frage: Hat er
denn nicht herumgeschrien? Gedroht?
    Antwort: Nein. Er
saß am Fenster, schaute auf den Platz hinaus und sprach, als wäre er mit sich
allein. Gestern habe ich meiner Frau beim Kohlhobeln geholfen, sagte er. Und
in der Nacht konnte ich nicht schlafen. Lag da mit offenen Augen. Draußen vorm
Fenster hobelten die Äste den Mond. Ich musste immerzu an dich denken. Das geht
nicht gut aus mit dir!... Dann seufzte er und sagte: Manchmal passe auch ich
nicht ganz zwischen Mütze und Schuh. Aber da man nun mal im Hier und Jetzt
lebt, sollte man es besser wie ein Fluss halten, weißt du. Der fließt und ahnt
nicht, dass er im Winter zufrieren muss. Und kommt der Winter, friert er zu.
Man muss im Einklang mit der Zeit leben, Tolja. Nicht über die Ufer treten.
    Frage: Was sagten
Sie darauf?
    Antwort: Nein,
Pawel Jefimowitsch, sagte ich, man muss im Einklang mit sich selbst leben!
    Frage: Warum sind
Sie denn so hart mit dem Alten umgesprungen? Er wollte doch nur Ihr Bestes.
    Antwort: Das ist
mir schon klar. Er war nahe am Heulen. Du bist wie ein Sohn für mich, sagte er,
meinst du, ich kann dich nicht verstehen? Ich war auch einmal

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