Schischkin, Michail
Jahre vergangen, und Rom ist anders, obwohl alles an seinem
Platz steht, die Statuen nicht davongelaufen sind. Dieselben blätternden
Palazzi mit Scharten von abgefallenem Stuck. Die Figuren obenauf, von Weitem
wie sich aufbäumende Rieseninsekten - ganz wie damals. Dieselben Katzen, die
unter den Autos Zuflucht suchen. Derselbe Dreck auf den Straßen, dasselbe von
Moosgrün überwucherte Marmorwappen über der Tür und dieselben rostigen Gitter
in den dunklen, längst erblindeten Fensterquadraten. In der bemoosten,
efeuumrankten Barockmuschel dasselbe Plätschern. Und doch alles anders.
Von jenem
ersten Rom hat sich der Eindruck von Regen und Sonne erhalten. Die Bluse klebt
pitschnass an ihrem Körper, mit spitzen Fingern zupft Isolde sich den Stoff von
der Haut. Das Geräusch der Reifen auf dem noch nassen, schon wieder sonnenfunkelnden
Pflaster - ein ganz besonderer Klang, voller Schmatzen und saftigem Pfeifen.
Flüssiges, gleißendes Sonnenlicht an den nassen Wänden, an Laub und Steinen.
Alles dampft - die Gehwegplatten, die tropfnasse Wäsche oben auf den Leinen,
die Rücken der Statuen. Nach dem Regen ist die Luft für ein paar Minuten
scharf, duftig und frisch, ehe sie wieder aufgeheizt wird und Abgase das Atmen
schwer machen.
Museen,
Galerien, Kirchen - von früh bis spät in die Nacht. Gedunkelte Leinwände,
vergoldete Altäre, Marmorleiber.
Das Rom
der Körper. Sie sind überall - steinern, nichtsdestoweniger fleischlich. Mann,
Frau, manchmal halb Tier. Muskeln, Brüste, Brustwarzen, Nabel, Pobacken - an
Dioskuren, Imperatoren, Madonnen, Tritonen, Göttern, Faunen, Heiligen.
Schenkel, Knöchel, Waden, Fersen, gespreizte Zehen.
Dieses Rom
liegt in Scherben.
Die
Eidechse zum Beispiel, die da schräg über die Mauer das Weite gesucht hat, sich
unter einem Blatt versteckt, sodass nur der Schwanz noch zu sehen ist, ein
winziger Halbmond - wo war das gewesen? In irgendwelchem Ziegelschutt, zwei
Finger dünne Schicht.
Plötzlich
erneut Regen - es sprüht zur offenen Tür der Trattoria herein. Ein richtiger
Platzregen, mit brodelnden Bächen auf Straße und Gehweg. Unter einem Auto lugt
eine rote Katze hervor, die dort Zuflucht gesucht hat. Der Dolmetsch bestellt
Lasagne und due bicchieri di rosso. Isolde
zeigt ihm, wie man auf Italienisch anstößt. Cento
giorni come questo!, muss man dazu sagen.
Sie
trinken darauf, dass dieses Sprühen bis an ihre nackten Beine, das Prasseln des
Regens, die rote Katze, der Italiener am Nebentisch, der sein telefonino zwischen Ohr und Schulter geklemmt hat, weil es sich so leichter
gestikulieren lässt - dass all dies sich Hundert Mal wiederholen möge. Das
Restaurant ist hier gleich um die Ecke, in der Via della Croce. Sie saßen lange
dort, matt und fußlahm. Speisekarte nur auf Italienisch, sie tippten mit dem
Finger auf den verschmierten Karton, und der Kellner erläuterte, indem er auf
sich zeigte: aha, Leber. Und das? Er klopfte sich auf den Schenkel - Filet,
sollte das wohl heißen. Und das? Er presste die Ellbogen gegen die Hüften und
wedelte mit den Händen, als wären es Flügelchen: piccione,
piccione!
Damals in
Rom erst, nach einem hektischen Jahr voller Sorgen und Nöte - Job finden,
Wohnung finden, das Leben mit einem Kleinkind organisieren -, fiel ihm auf, wie
schön Isolde nach der Geburt geworden war. Er erkannte es, als sie durch den
Hotelflur gingen; sie hatten sich umgezogen und wollten irgendwo in der Stadt
zu Abend essen, sie schritt voraus und sagte etwas, er blickte auf ihr Haar,
als sähe er es zum ersten Mal, den Ausschnitt des Kleides, und wie ihre
Schenkel schwangen, ihren Gang in Stöckelschuhen. Sie sagte etwas, halb zu ihm
umgewandt auf dem schummrigen, engen Flur, und alle paar Schritte ließen die
Glühbirnen an der Decke ihr Gesicht verwandelt erscheinen: mal das von zu
Hause vertraute Profil, mal ein fremdes, unbekanntes, das er berühren und
küssen wollte.
Sie aßen
dann im Ulpia zu Abend, auf einer Terrasse direkt über dem Trajansforum. Es
dunkelte schon, bauchige Kerzen in Glasbechern brannten auf den Tischen. In der
Tiefe, acht bis zehn Meter unter ihnen - hier bemisst sich die Zeit nach Metern
-, lagerte das antike Rom, genauer gesagt, was davon übrig war. Jede Ruine war
einzeln beleuchtet. Säulen lagen umher wie abgenagte Markknochen. Beim Warten
auf das bestellte carre di agnello tranken
sie Wein und lasen einander aus dem Stadtführer vor; sie hätten gern
durchschaut, was vor zweitausend Jahren wo genau gewesen war, doch
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