Schischkin, Michail
wehzutun, standen hier vermerkt; was sie sich
hinterher zugeraunt hatten, fehlte.
Der
Dolmetsch beschloss, Isolde nicht zur Rede zu stellen und auch nie wieder zu
lesen, was nicht für ihn bestimmt war.
Beim Buchen
der Fahrkarten und Hotelplätze für Rom hatte er sich gewundert, dass Isolde
unbedingt in dieses Hotel wollte, an dem doch augenscheinlich nichts Besonderes
war. Erst jetzt in dieser Nacht, den Kopf hinaus in den Regen haltend, kam der
Dolmetsch darauf, dass sie vielleicht mit Tristan in diesem Hotel gewesen war.
Ein absonderlicher Einfall, den er sogleich von sich wies.
Der
Dolmetsch legte sich wieder hin, konnte aber noch lange nicht einschlafen, weil
er die ganze Zeit an Tristan denken musste, mit dem Isolde immerhin in Rom
gewesen war. Er ließ den Tag Revue passieren, und plötzlich fiel ihm ein, sie
könnte mit Tristan ganz genauso angestoßen und Cento
giorni come questo! gesagt haben. Vielleicht hatten
sie genauso zusammengesessen, womöglich in derselben Trattoria - warum sonst
hatte sie ihn dorthin geführt? -, und draußen hatte es geregnet, sie hatten auf
ihre Lasagne gewartet, Chianti gesüffelt, der vielleicht in denselben Krüglein
kredenzt worden war...
Immer mehr
Einzelheiten fielen ihm ein, Kleinigkeiten, deren heimlicher Sinn sich ihm nun
erst erschloss. Sie waren in Fiumicinö gelandet und brauchten Zugfahrkarten
nach Rom. Es gab Fahrkartenautomaten, an denen man mit Karte bezahlen konnte.
»Lieber
nicht! Sonst schluckt er sie noch. Das hatte ich schon mal«, sagte Isolde.
An der
Kasse stand eine lange Schlange, also steckte der Dolmetsch seine Kreditkarte
in den Automaten - und prompt geschah es: Ticket und Karte
blieben verschwunden. Benvenuto all'Italia! Der
Dolmetsch hielt beim Automaten Wache, während Isolde auf Hilfesuche ging. Sie
spricht ein bisschen Italienisch. Die Angestellten hinter den Schaltern
konnten ihr nicht helfen. Wer hätte helfen können, war nicht da. So standen sie
vor dem Automaten und warteten, ohne recht zu wissen, worauf. Isolde begann die
Nerven zu verlieren, der Dolmetsch versuchte sie zu beruhigen: Das sei doch
nicht weiter schlimm, alles werde sich klären, dabei war er selbst kurz davor,
seine Bank anzurufen und die Karte sperren zu lassen. »Gottverdällü«, fluchte
Isolde immer wieder.
Schließlich
kamen irgendwelche Italiener, die den Automaten aufschlossen, und der Dolmetsch
erhielt seine Karte zurück. Sie kauften die Fahrkarten an der Kasse und
bestiegen den Expresszug zum Termini. Und jetzt, mitten in der Nacht, verfiel
er auf den Gedanken, dass es Tristans Kreditkarte gewesen sein musste, die der
Automat schon einmal unversehens geschluckt hatte.
Vor Zeiten
empfing Rom seine Gäste am Paradeeingang, der Porta del Popolo, heute wird man
über einen Hintereingang geschleust, zuckelt durch irgendwelche schmutzigen
Vororte dem Bahnhof entgegen. Unverwandt sah der Dolmetsch auf der Fahrt zum
Termini aus dem Fenster, hielt Ausschau nach Rom und blickte doch nur in
hässliche, unwirtliche Hinterhöfe. Das Erste, was er beim Verlassen des
Bahnhofs zu Gesicht bekam, war ein McDonalds. Ecco Roma? Nein, nein, besänftigte ihn Isolde, Rom fange da an, wo man seinen
ersten Espresso im Stehen trinke, in irgendeiner Bar. Also betraten sie eine,
die schmal und tief war und wo der fauchende Kaffeeautomat wie in einer Höhle
wohnte, tranken im Stehen ihren ersten Espresso, so andächtig, als wäre es ein
Zauberelixier, und siehe da: Rom fing an. Nun ging es dem Dolmetsch durch den
Kopf, dass bestimmt Tristan so zu ihr gesprochen hatte: »Rom fängt da an, wo
man seinen ersten Espresso im Stehen trinkt, in irgendeiner Bar.«
Nach
dieser Nacht in Rom gingen dem Dolmetsch die einfachsten Dinge auf, über die
er zuvor gar nicht nachgedacht hatte. Zum Beispiel mochte es Isolde, wenn man
ihr die Fingernägel an den verschiedensten Stellen in die Kopfhaut drückte. Das
war gut gegen Kopfschmerzen, und es half wach zu werden, wenn man zeitig
aufstehen musste. Wahrscheinlich stieg einem so das Blut in den Kopf; eine
besondere Klarheit, Nüchternheit war die Folge. Auch dem Dolmetsch behagte es,
wenn Isolde morgens ihre Nägel in seinen Kopf drückte - zuerst ganz sanft, dann
immer kräftiger. Und als sie in der stickigen, schweißigen Metro von Rom auf
die Bahn warteten, die ewig nicht kam, und Isolde tat der Kopf weh, da setzte
sie sich auf eine Bank, der Dolmetsch stellte sich hinter sie und fing an,
ihren Kopf zu massieren, mit ausgefahrenen Krallen, die
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