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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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sondern Goldszmit hieß, war sie
beleidigt. Ein Jude? Von wegen! Sie nahm ihn gegen diese Verunglimpfung in
Schutz: Das sei zu allen Zeiten so gewesen, dass, wenn einmal ein Mensch mit
Anstand auf die Welt gekommen sei, man ihm sofort einen jüdischen Namen
angehängt habe...
    Der
Schlaumeier wollte auf etwas ganz anderes hinaus, aber das war in dem Moment
schon nicht mehr zu klären.
    Die
Galpetra unterrichtete Botanik und Zoologie, auf den Fensterbrettern im
Klassenzimmer standen Töpfe mit allen möglichen Pflanzen. Von jeder wusste sie
den lateinischen Namen. »Pflanzen sind Lebewesen, aber ihre Namen haben sie
aus einer toten Sprache«, pflegte sie zu sagen. »Seht her, das hier ist in
südlichen Ländern ein Unkraut, das überall wächst. Bei uns eine Zimmerpflanze.
Ohne menschliche Liebe und Wärme überwintert sie bei uns nicht.«
    Vom
Schulstoff habe ich mir als Einziges gemerkt, dass es Nacktsamer und
Bedecktsamer gibt.
    Aber
Erinnerungen gibt es. Und der Dolmetsch muss sich fragen, wozu er die
gebrauchen kann.
    Einmal
lief die Galpetra mit einem Zettel am Rücken über den Schulflur. Das
Klotür-Piktogramm mit den Riesentitten. Jemand hatte es im Pausengedränge mit
Klebeband anzuhängen vermocht. Eine Sekunde lang hatte der künftige Dolmetsch
erwogen, hinzurennen und den Zettel abzureißen oder wenigstens zu sagen, sie
solle sich von hinten begucken. Aber das ging schnell vorbei.
    So solltet
auch Ihr, mein hochwerter künftiger Ex-Nabuccosaurus, in die Schule gehen,
damit Euch hinterher aller Mist wieder einfallen kann, Kryptogamen und
Klozeichnungen, denn daraus besteht das Ganze nun mal.
    Ich
schreibe Euch vom Dach. Dem des Istituto Svizzero, hier gibt es eine Terrasse
mit Blick auf die Ewige Stadt. Ganz Rom wie auf der flachen Hand. Die freilich
sehr groß sein müsste.
    Hier nun
meine Ansichtskarte: Rechter Hand, über der Villa Borghese, ist wieder der
blaue Luftballon aufgestiegen, bemalt wie eine alte Montgolfiere. Links, etwa
über der Piazza Venezia, dröhnt ein Hubschrauber, klebt am Himmel wie eine
Fliege am Leimstreifen, die brummt und kommt nicht vom Fleck. Ein Meer aus
Kuppeln und Dächern bis an die Albaner Berge. Und geradeaus, über Sankt Peter,
kreiselt ein dunkler, lebhafter Fleck. Ein riesiger Vogelschwarm! Mal zieht er
sich zusammen, wird dichter und dunkler, mal dehnt er sich und schwillt,
verwirbelt und verschwurbelt sich. Als flöge da ein großer schwarzer Strumpf am
Himmel, der sich in einem fort umstülpt. Wo kommen diese vielen Vögel her?
    Auf dem
Dach also sitzt der Dolmetsch, versitzt dort den halben Tag. Dann geht er nach
unten. In dem großen Gebäude ist es still. Statuen betrachten schweigend die
Gemälde. Alles - Wände, Treppen, Säulen - ist aus weißem Marmor. Wie aus
Zucker geschnitzt. Tatsächlich ließ diese Villa einmal ein Schweizer
Zuckerfabrikant errichten, der Rom auf einer ihm dargereichten Hand liegen
sehen wollte. Jetzt befindet sich hier das Schweizer Institut. Hinter jeder Tür
sitzen Stipendiaten und sind den ganzen Tag am Werkeln. Ein Künstler hat den
Dolmetsch gleich am ersten Abend in sein Atelier eingeladen und ausführlich
über sein Projekt erzählt: ein großer Magen, der Bern verdaut. Er konnte es
sogar als Animation auf seinem Computer vorführen. Ein anderer Künstler lud
ebenfalls ein und zeigte, wie er Lampenbrote* [im
Original deutsch (Anm. d. Ü.)] baut: Er bohrt ins große weiße
Brot ein kleines Loch, durch das er das Weiche herauspult, montiert eine Lampe
hinein und hängt es an die Decke. Der Künstler schaltete das Licht aus, sie
saßen im Dunkeln, und über ihren Köpfen leuchtete das Brot. Im dritten Atelier,
in einem Turm mit Rundblick über ganz Rom, riss eine Künstlerin sich ein Haar
aus dem Kopf und drapierte es so auf einem Stück Seife, dass sich eine
Weltkarte daraus ergab. Eine solche Weltseife bekam der Dolmetsch sogar von ihr
geschenkt.
    Der
Dolmetsch hat den Laptop in sein Zimmer gebracht und geht auf die Via Ludovisi
hinunter. Die Gerüche einer römischen Straße sind: Benzin, Kaffee aus der
offenen Tür einer Bar, Weihrauch und Kerzenwachs aus der Kirche, Parfüm aus
einer Boutique, Urin und feuchter Kalk aus einem Hausflur. Stimmengewirr:
Passanten versuchen ihren telefonini etwas zu
erklären. Ein tollwütiger Hund hat irgendwo einen Motorroller gebissen, und
jetzt grassiert die Seuche, hat auf Autos und Busse übergegriffen, die wie
besengt dahinrasen. Selbst die Gullydeckel sind übergeschnappt, dünken

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