Schischkin, Michail
bei all
diesen Foren: Foro Vespasiano, Foro Augusto, Foro Cesare, Foro Nerva, den
Überblick zu behalten war unmöglich, eins ging ins andere über, zumal, wie zu
erfahren, ein großer Teil dieser Foren unter Mussolini wieder überbaut worden
war. Der Dolmetsch schaute Isolde an, und jetzt, im Kerzenlicht, fiel ihm zum
ersten Mal auf, dass ihre Nasenspitze wippte, wenn sie sprach oder aß. Komisch,
das hatte er bis dahin übersehen.
Sie
versuchten dem Stadtführer zu entnehmen, wer oder was hinter dem Namen des
Restaurants steckte: War diese Ulpia eine Göttin? Eine Stadt? Eine
Menschenfrau? Doch das Büchlein gab nichts her. Irgendwo da unten schrien
Katzen, die in der großen, mittlerweile zugewachsenen Grube unsichtbar
Katzenhochzeit feierten. Dass ausgerechnet hier vor Zeiten die abgehackten
Hände Ciceros an die Rostra genagelt und öffentlicher Beaugenscheinigung
zugänglich gemacht wurden, mochte man nicht glauben. Die angenagelten Hände -
und diese Riesengrube, leer, überwuchert vom grünen, grünen Gras, ein
Katzenreich... Es wollte irgendwie nicht zusammenpassen.
Isolde zog
die Sandaletten aus und legte ihre Füße unter dem Tisch auf des Dolmetschs
Knie. Während er zuhörte, was sie über die Trajanssäule vorlas, auf der, von
Scheinwerfern angestrahlt, aus irgendeinem Grund Petrus stand, streichelte er
unter der Tischdecke ihre Zehen. Man konnte meinen, dass es schneite - wie aus
einem aufgerissenen Daunenkissen rieselten mit einbrechender Nacht haufenweise
Nachtfalter in die Straßen von Rom, überall flatterte es: vor den
Straßenlampen, den Fenstern, den Scheinwerfern der Autos und denen, die die
Ruinen anstrahlten. Auch sie wurden umkreist, die Motten wollten sich partout
in die Kerzenflamme stürzen, Isolde vertrieb sie mit ihrem Buch.
Leicht
beschwipst von Chianti und Grappa, gingen sie zurück ins Hotel. Vorher standen
sie noch eine Weile und betrachteten die Reliefs an der berühmtesten Säule der
Welt: Hier kehren die römischen Kundschafter mit den abgeschlagenen Köpfen der
Daker heim, da sind die Daker dabei, sich zu ergeben, Frauen und Kinder haben
ihre Häuser verlassen, Römer mitsamt ihrem Vieh ziehen ein, hier sticht ein Daker
sich selber ab, um den Römern nicht lebend in die Hände zu fallen, dort küsst
ein Soldat Trajan die Hand, ein Stück weiter oben setzen dakische Frauen mit
Fackeln die nackten Leichen römischer Soldaten in Brand, darüber sehen wir
Römerköpfe aufgespießt an den Mauern dakischer Befestigungen, noch darüber
Römer beim Bäumefällen und wieder irgendwelche aufgespießten Köpfe, und endlos
so fort, spiralig immer weiter hinauf, ein Symbol für Bewegung, Fortschritt,
und ganz oben steht ein alter Mann, reglos, hat Angst, sich zu rühren, die
Balance zu verlieren, und sowieso kann er sich nicht erklären, wie er
hinaufgekommen ist in diese Höhe - nur ja nicht hinabschauen, sonst wird ihm
schwindlig.
Die Stadt
voller Nachtfalter, um jede Laterne ein großes Kreisen, in Massen stürzten sie
auf das Pflaster herab, tot und immer noch weiterflatternd, Straßenjungen
zündeten sie mit ihren Feuerzeugen an. So ähnlich hatte der Dolmetsch als Kind
brennende Streichhölzer an die Wehen von Pappelflaum gehalten, wenn Moskau unter
diesem Flaum begraben lag wie unter Schnee... Hier brannte Mottenschnee.
Selbst in
der Nacht war es noch heiß, das Hotelzimmer, als sie ankamen, stickig. Isolde
drehte das kalte Wasser am Waschbecken weit auf und hielt Hände, Handgelenke,
Ellbogen unter den prasselnden Strahl. Der Dolmetsch schlang die Arme um sie,
hob sie hoch, trug sie quer durch das Zimmer und legte sie auf das Bett. Ihre
nassen, kalten Arme zogen ihn an sich. Das Wasser rauschte weiter aus dem Hahn.
»Geh mal zudrehen!«, flüsterte Isolde.
»Das ist
der Regen vor dem Fenster«, erwiderte der Dolmetsch.
An jenem
ersten Tag in Rom hat der Dolmetsch sie immerzu angeschaut: die Frau, die er so
gut kannte, täglich an seiner Seite hatte, und die ihm zugleich so unbekannt
erschien. Das ist das Glück, dachte er. Hören, wie ihre Zähne beim Trinken
gegen das Glas stoßen, zusehen, wie auf ihrer Brust ein nasser Fleck wächst,
nachdem sie sich mit Wasser begossen hat. Ihre Gerüche erschnüffeln. Sie roch
an jenem Tag nach den neuen Sandaletten - nach Schuhgeschäft, Leder, Leim,
Schweiß, Deo. Auf dem Hotelbett liegen und durch den Türspalt im Badspiegel
sehen, wie sie halb nackt herumläuft, mal ohne Rock, mal ohne Bluse. Sehen, wie
sie den engen Büstenhalter
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