Schiwas feuriger Atem
hinunter zu dem weißgestrichenen Rettungsfahrzeug – ein gepanzerter Truppentransporter mit vier Mann Besatzung, der alle schnell in Sicherheit brachte. Die Rettungsmannschaft hatte nur die eine Aufgabe, das Schiff zu stürmen, die Astronauten zu packen, in ihr Fahrzeug zu werfen, ihnen Atemgeräte um den Hals zu hängen – und dann nichts wie weg, in Sicherheit. Bisher hatte die Rettungsmannschaft nur sehr selten im Ernst eingreifen müssen, aber vor ihren Übungseinsätzen hatten die Astronauten mehr Angst als vor dem take-off.
Es gab noch einen anderen Weg hinunter über ein langes durchhängendes Kabel mit Schlingensicherung. Aber das war noch gefährlicher; man schlug ganz schön hart auf dabei.
»Hei, Gunter«, begrüßte Lisa den »Kommandanten« der »Weißen Kammer«. Seit fast zwanzig Jahren war er der Majordomo der »Weißen Kammer«, seit Beginn des Raumfährenprogramms, und jede bisherige Astronautengeneration hatte ihm blindlings vertraut. Er ließ sich nichts gefallen, weder von der Raumschiffbesatzung selber noch von den NASA-Leuten, vom letzten Wachtposten bis zum höchsten Beamten. Einmal hatte er dem Vizepräsidenten der USA den Zutritt verwehrt, und der hatte gute Miene dazu machen müssen. Er besaß absolute Autorität.
Nino wurde als erster in das Modul gebracht; so konnte Lisa noch einen Blick auf den Horizont werfen. Noch mehr Rauchfahnen, noch mehr Hubschrauber, Bewegung in der Ferne. Hier und da stieg Nebel hoch, und die puppengroßen Gestalten sanken leblos hin. Kaum ein Geräusch.
Der Wind frischte auf. Eine Möwe segelte über den Himmel. Lisa spürte, wie der Kranbalken etwas schwankte. Hoffentlich wurde der Wind nicht so stark, daß der Start verschoben werden mußte. Doch ein weiterer Blick über den Horizont überzeugte sie, daß das nicht der Fall sein würde. Heute würde der Vogel fliegen, und alle die anderen Vögel mit. Sie mußten ja. Man würde die Sicherheitsfaktoren strecken, neu berechnen, schlimmstenfalls ignorieren. Das brauchte nicht erst gesagt zu werden. Es war einfach selbstverständlich.
Lisa blickte auf den Treibstoffbehälter hinunter, der seinen Überdruck in Wolken flüssigen Sauerstoffs abließ. Groß und kühn leuchtete die aufgemalte Flagge der USA an der weißen Wand des Schiffes. Gewiß, es war Amerika, aber Rußland auch, die ganze Menschheit. Warum mußte erst eine solche globale Katastrophe kommen, damit die Nationen sich zusammenfanden? Wir könnten heute schon Kuppeln auf dem Mars bauen und orbitale Sonden zum Jupiter schicken, wenn nur die Welt zusammenstehen würde. Ein paar Pfennige im Jahr, die keiner spüren würde, von jedem Menschen. Einmal im Jahr das Mittagessen auslassen, und die NASA oder eine globale Raumbehörde könnte Kolonien im All haben, Forschungsstationen auf den Planeten, Sonden in der Galaxis. Diesen einen Lunch und ein, zwei Drinks eingespart – die Menschheit könnte kryogene Raumschiffe zu den Fixsternen schicken. Ein Prozent des Wohlfahrtsbudgets, und alles das könnten wir tun, dachte sie.
»Lisa.«
»Ja, Gunter, ich komme schon.«
Lisa faßte den Griff und schwang sich mit einer wohlgeübten Bewegung geschickt hinein. Während sie sich anschnallte, wechselte sie Blicke mit Nino. Sie beide waren ausgesucht, bestätigt, eingeliefert und versiegelt. Jetzt kam es auf sie allein an. Der Checkout begann.
T minus dreißig Minuten.
Einer nach dem anderen verließen die, die nicht mehr gebraucht wurden, die »Weiße Kammer« und fuhren hinunter. Die Kammer selbst wurde abgeschwenkt. Aufmerksam lauschte Lisa dem komplizierten Wortwechsel. Die Windverhältnisse blieben der einzige unsichere Faktor beim Countdown, und der war nicht allzu ernst zu nehmen. Jahrzehntelange Starterfahrung hatte die Prozedur eingeschliffen. Niemand wollte etwas verpatzen. Die ungeheure Saturn B 12 würde abfliegen, und wenn die Hölle dazwischenkäme… oder Gabriels fanatische Legionen.
T minus zehn Minuten.
»Wie ist es mit unbefugten Besuchern?« fragte Nino das »Blockhaus«. »Werden zurückgehalten«, war die lakonische Antwort. Er blickte Lisa an und zuckte die Achseln.
T minus acht Minuten. Lisa ging im Geiste die komplizierte Countdown-Prozedur durch, doch das war bald geschehen, und sie hatte Zeit, an anderes zu denken.
Woran? An die vor ihnen liegende Aufgabe? Nein, das war gefährlich. Denk an die Bordroutine. Die bekannte, oft geübte Routine. Die ordentliche, vernünftige. Die akzeptierten, ausprobierten Prozeduren. Doch
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