Schiwas feuriger Atem
Dienste geleistet; aber Lisa fand sie nicht aufregender als die Landebahn in Vandenberg. Sie war der erste Raumhafen des Menschen, ein Halteplatz auf dem Wege zu Größerem.
Früher einmal hatte sie Ehrfurcht vor der Station I empfunden, aber das war vorbei. Sie war oft auf Luna gewesen, allerdings noch nicht auf dem Mars. Sie hatte schon an allen Stationen angelegt; Station I war zwar eindrucksvoll, aber nicht mehr ehrfurchterregend.
Gewohnheit stumpft ab.
»Station I an Omega: Zwanzig Sekunden bis zum magnetischen Ankern.«
»Roger, Station I«, bestätigte Lisa automatisch. Sie überflog das Kontrollbrett. Ihre Augen ruhten kurz auf der breiten Fläche mit den dunklen Zifferblättern, die in der engen Kabine soviel Platz wegnahm.
Die Führungsanlage für die Atomgeschosse, die jetzt still im Orbit schwebten, neunzehn todesträchtige Bomber, hirnlos und machtvoll.
»Fünfzehn Sekunden.«
Nino Solari sah mit seinen dunklen unergründlichen Augen forschend zu ihr herüber. Er sah, worauf sie blickte, sagte aber nichts. Die Kräfte, über die sie geboten, reichten aus, um die Erde zu entvölkern; aber Nino und Lisa waren grade deshalb ausgesucht worden, weil sie nicht so labilen Gemütes waren, daß sie sich solche Gedanken machten.
Außerdem war die Vernichtung der Menschheit auch ohnedies nahe.
»Zehn Sekunden.«
Der rechteckige Rachen des Landungs-Hangar wurde rasch größer. Man hat immer das Gefühl, er kommt zu schnell auf einen zu, dachte Lisa. Die Frontraketen flammten auf, drückten sie in die Sitze, gegen die Gurte. Die Metallwände verschluckten sie. Hell schimmerten die Lampen an den Innenwänden. Die Magnetköpfe streckten sich vor, und Omega I schlug mit hellem Klang an sie an. Der schlanke weiße Leib des Schiffes schwankte leicht und wurde dann an eine Wand gezogen. Diese Seite wurde psychologisch zu »unten«, obwohl noch keine Schwerkraft vorhanden war. Mit einem abgefederten Ruck kamen sie zum Stehen.
»Omega I, Sie haben angelegt. Transportröhre kommt sofort. Willkommen an Bord.«
»Danke, Station I. Wir möchten sofort auftanken.«
»Roger, Omega I. Auftanken geht gleich los.«
Lisa beugte sich vor und sah aus dem Bullauge. Aus einer Luke kamen Männer in Raumanzügen. Sie schoben ein kleines Hilfsluk vor und begannen, den dicken, schlangengleichen Treibstoffschlauch abzurollen. Einer blickte zu Lisa hoch und winkte; automatisch winkte sie zurück.
»Wollen wir hineingehen?« fragte Nino und faßte nach seinem Gurtschloß.
»Nein. Ja. Also gut.« Sie blieb sitzen, während Nino sich losmachte, nach oben schwebte und sich drehend und rudernd zur Luftschleuse bewegte.
Was ist los mit mir, dachte sie. Alles ist ganz weit weg von mir, so undeutlich. Ich mache alles nur automatisch, weil ich’s so gelernt habe. Schon vor dem Abschuß war mir so. Nur der Anblick dieser blutigen Leichname, der Fanatismus dieser Gabriels hat mich wach gemacht.
Was ist bloß mit mir?
Sie drückte auf ihr Gurtschloß und schwebte empor, schwerelos in der engen Kabine. War das Schiff im Raum, so konnte man sich leichter bewegen. Was die Schwerkraft verbot, war nun machbar. Mit Schlangenbewegungen dirigierte sie sich rückwärts zur Schleuse, wo Nino auf sie wartete.
»Geh voran«, winkte sie ihm. Er sah sie an, dann rückte er den Helm zurecht und klinkte ihn ein. »Okay«, sagte er über Radio.
Sie hörten, wie das Ausstiegrohr eingeklinkt wurde; dann kam grünes Licht. Nino quetschte sich durch die kleine Öffnung und drückte auf den Schließknopf. Lisa sah noch, wie er sich nach ihr umblickte, doch ein Lichtreflex zog einen hellen Streifen über die Plastikwand, und sie konnte nicht erkennen, was er für ein Gesicht machte. Die Klappe schlug zu, und die Rotation begann.
Lisa schwamm in der Luft; bei jedem Atemzug drehte sie sich mühelos. Die Schwerelosigkeit hatte ihr nie etwas ausgemacht, anders als bei manchen Astronauten, die sich nie daran gewöhnen konnten, Pillen schlucken oder es einfach mit zusammengebissenen Zähnen durchstehen mußten. Das war es nicht, was sie so beunruhigte – aber was war es nun wirklich?
Ist es die Verantwortung, die mich bedrückt? Alle verlassen sich auf mich. Auch die noch ungeborenen Generationen. Das Leben – praktisch alles Leben – hängt davon ab, was wir machen. Wenn Jagens keinen oder nur teilweisen Erfolg hat – dann bleibt alles an mir hängen.
Vielleicht war es ganz gut, daß sie Jagens den Oberbefehl gegeben haben, dachte sie. Er ist immer so
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