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Schlachthof 5

Schlachthof 5

Titel: Schlachthof 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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    Aber Billy war zehn Jahre entfernt, zurück im Jahre 1958. Er untersuchte die Augen eines jungen mongoloiden Idioten, um ihm die richtigen Augengläser zu verschreiben. Die Mutter des Idioten war dabei und fungierte als Dolmetscherin.
    »Wie viele Punkte siehst du? « fragte ihn Billy Pilgrim.
    Und dann verreiste Billy zeitlich zurück, als er sechzehn Jahre alt war und im Wartezimmer eines Arztes saß. Billy hatte einen infizierten Daumen. Nur noch ein anderer Patient wartete — ein uralter Mann.  Der alte Mann wurde von Blähungen gequält. Er furzte fürchterlich und rülpste dann.
    »Verzeihen Sie « , sagte er zu Billy. Dann tat er es noch einmal. »O Gott « , sagte er, »ich wußte ja, daß es schlimm sein würde, alt zu werden. « Er schüttelte den Kopf. »Ich wußte nicht, daß es so schlimm sein würde. «

    Billy Pilgrim öffnete die Augen im Krankenhaus von Vermont und wußte nicht, wo er sich befand. Sein Sohn Robert beobachtete ihn. Robert trug die Uniform der berühmten »Green Berets « . Roberts Haar war kurz — weizenblonde Borsten. Robert war sauber und ordentlich. Er war mit einem Purpurherz, einem silbernen Stern und einem Bronzestern mit zwei Spangen ausgezeichnet worden.
    Das war ein Junge, der in der Hochschule versagt hatte, der mit sechzehn Alkoholiker gewesen war, zu einer üblen Halbstarkenbande gehört hatte und festgenommen worden war, weil er über hundert Grabsteine auf einem katholischen Friedhof umgestürzt hatte. Jetzt war er ganz anständig geworden. Seine Körperhaltung war wundervoll, seine Schuhe waren spiegelblank poliert, seine Hose tadellos gebügelt, und er war ein Menschenführer.
    »Paps — ? «
    Billy Pilgrim schloß wieder die Augen.

    Billy konnte an der Beisetzung seiner Frau nicht teilnehmen, denn er war noch zu krank. Er war jedoch bei Bewußtsein, als Valencia in Ilium in die Erde gesenkt wurde. Billy hatte nicht viel gesagt, seitdem er wieder zu sich gekommen war, hatte nicht sehr eingehend auf die Nachricht von Valencias Tod und auf Roberts Heimkehr aus dem Krieg und so weiter reagiert — daher glaubte man allgemein, daß er nur dahindämmere. Man sprach davon, daß man später eine Operation an ihm vornehmen wolle, die vielleicht die Blutzirkulation in seinem Gehirn fördern würde.
    Tatsächlich war Billys äußerliche Teilnahmslosigkeit nur eine Maske. Die Teilnahmslosigkeit verbarg einen Geist, der vibrierend sprühte und leuchtete. Er bereitete Briefe und Vorträge über die fliegenden Untertassen, die Bedeutungslosigkeit des Todes und das wahre Wesen der Zeit vor.

    Professor Rumfoord sagte schreckliche Dinge über Billy in dessen Hörweite, im Vertrauen darauf, daß Billy überhaupt nicht mehr bei Verstand sei. »Warum läßt man ihn nicht sterben? « fragte er Lily.
    »Ich weiß nicht « , erwiderte Lily.
     
    Rumfoord sprach einmal mit Lily über den Bombenangriff auf Dresden, und Billy hörte das alles.  Rumfoord hatte ein Problem wegen Dresden. Seine einbändige Geschichte der Heeresluftwaffe im zweiten Weltkrieg sollte eine leicht lesbare Zusammenfassung der Amtlichen Geschichte der Heeresluftwaffe im zweiten Weltkrieg in siebenundzwanzig Bänden sein.
    Der Haken war jedoch, daß in den siebenundzwanzig Bänden so gut wie nichts über den Luftangriff auf Dresden enthalten war, obschon er so ein durchschlagender Erfolg gewesen war. Das Ausmaß des Erfolges war viele Jahre nach dem Krieg geheimgehalten worden — geheim vor dem amerikanischen Volk.  Es war natürlich kein Geheimnis für die Deutschen oder für die Russen, die Dresden nach dem Krieg besetzten und noch immer in Dresden sind.

    »Die Amerikaner haben endlich von Dresden gehört « , sagte Rumfoord dreiundzwanzig Jahre nach dem Angriff. »Eine Menge von ihnen weiß jetzt, wieviel schlimmer es war als Hiroshima. Daher muß ich etwas darüber in meinem Buch bringen. Vom offiziellen Standpunkt der Luftwaffe aus wird das alles neu sein. «
    »Warum wollte man es so lange geheimhalten? « fragte Lily.
    »Aus Angst, daß eine Menge blutende Herzen « , erklärte Rumfoord, »es vielleicht nicht für eine so wundervolle Sache halten würden, so etwas zu tun. «
    In dem Augenblick warf Billy Pilgrim vernünftig ein: »Ich war dort. «

    Es fiel Rumfoord nicht leicht, Billy ernst zu nehmen, da der Professor Billy bisher nur für eine abstoßende, nicht existierende Person angesehen hatte, die weit besser tot wäre. Jetzt aber, als Billy klar und sachlich sprach, wollten Rumfoords

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