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Schlaf, Kindlein, schlaf

Titel: Schlaf, Kindlein, schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika von Holdt
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Blaulicht.«
    »J-ja, in Ordnung«, gab Máire zurück.
    Er legte auf.

22
     
    Sie begann, wieder mit den Zähnen zu klappern, als sie das Mobiltelefon in die Tasche zurückgleiten ließ. Von allen Seiten schien der Wahnsinn sie einzukreisen, und sie überlegte fieberhaft, was passiert sein könnte. Sie meinte, es zu wissen. Er hatte in ihrem Auto herumgeschnüffelt und ihre Adresse gefunden. Er musste nach Charlotte gefahren sein, um ihr einen Besuch abzustatten, und hatte statt ihrer Valerie entführt. Und jetzt war sie tot!
    »Und das ist deine Schuld!«, sagte sie laut zu sich selbst. Valerie hatte keine Chance. Máire versuchte, nicht darüber nachzudenken. Es nützte nichts, sich in Selbstvorwürfen zu ergehen. Dabei würde sie nur verrückt werden.
    Ihr war schwindelig, als sie sich in Bewegung setzte. Ihre Beine waren schwach, die Knie zitterten. Im ersten Moment fiel ihr die Orientierung schwer, sogar das Atmen, und sie war kurz davor, jeden klaren Gedanken zu verlieren. Wo zum Teufel war der Ausgang? Rechts oder links?
    Rechts natürlich. Da war die Treppe. Selbstverständlich, so war es.
    Plötzlich hallte ein furchterregender, klagender Schrei durch die Dunkelheit. Wie in einem Gruselfilm aus einer Irrenanstalt. Oder aus der Hölle.
    Máire keuchte, ihr Denkvermögen setzte aus, und beinahe hätte sie selbst aufgeschrien.
    Sie hielt inne und lauschte lange, dabei starrte sie unverwandt in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
    Ein zweiter gellender Schrei hallte durch die Finsternis und echote in den Gängen, dann wieder Stille. Nur Stille. Keine Stille gleicht der anderen, und diese Lautlosigkeit schien auf irgendetwas zu warten.
    »Hallo?« Ihre Stimme klang wie ein eingerostetes Scharnier. »Ist da jemand?«
    Keine Antwort.
    Máire horchte angespannt. Die Sekunden verstrichen, aber es gab keine weiteren Schreie, und die Taschenlampe erhellte nur die ockergelben Wände des leeren Ganges.
    Sie zögerte, als hielte eine unsichtbare Mauer aus Angst sie zurück. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sollte sie auf eigene Faust weitermachen? Naheliegender wäre es, möglichst schnell hier rauszukommen und sich zu verstecken, wie der Polizist es ihr geraten hatte. Die Polizei regelte dann den Rest, aber die Intuition sagte ihr, dass sie jetzt handeln musste. Wenn C.J. oder jemand anderes in Gefahr schwebte, musste sie helfen. Sie hatte es schon ein Mal zu viel nicht geschafft zu helfen, und das schlechte Gewissen meldete sich mit exakter Regelmäßigkeit.
    Sie spannte die Muskeln an und hielt den Griff der Taschenlampe fester, um den restlichen Keller auszukundschaften. Am perlmuttfarbenen Flackern des Lichtkegels konnte sie das unkontrollierte Zittern ihrer Hand sehen. Schatten zuckten über Boden und Wände und warfen unheimliche Silhouetten. Sie schlotterte am ganzen Körper, und ihr Herz raste, während sie verzweifelt versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung der Schrei gekommen war.
    Sie duckte sich an die Wand, warf einen Blick über die Schulter in den dunklen Gang, der im Nichts zu verschwinden schien, und ging langsam und vorsichtig in die andere Richtung – etwas anderes blieb ihr auch gar nicht übrig. Wenn sie stehen blieb, würde sie vor Angst sterben. Sie angelte das Messer aus ihrer Tasche und behielt es in der Hand.
    In der Dunkelheit hinter ihr klirrte etwas – dachte sie zumindest. Sie keuchte und hielt inne. Ihr Herz pochte schmerzhaft. Hin- und hergerissen sah sie sich um, schlich aber schließlich leichtfüßig den Gang hinunter bis zu einer Abzweigung, als wieder ein Geräusch die Stille durchbrach. Sie schlug die Richtung ein, aus der es gekommen war, und bog leicht gebückt in einen weiteren schmalen Gang ein, der den ersten kreuzte und dessen ockergelbe Wände im flackernden Schein der Taschenlampe wie Tränen glänzten. Nach wenigen Schritten hielt sie inne und versuchte, ruhiger zu atmen. Nach einem Moment voller Anspannung nahm sie ihren Mut wieder zusammen und ging weiter. Der Gang wurde immer schmaler, kreuzte erneut einen anderen und machte wieder eine Biegung.
    Die engen Gänge verliefen in Windungen und kreuzten sich, bis es schien, als befände sie sich nicht länger in einem Keller, sondern in einem Katakombensystem. Sie hörte ihre Atemzüge und ihr Herz pochen. Kurz darauf wieder einen Laut. Sie machte die Taschenlampe aus und horchte reglos.
    Nichts.
    Die Finsternis und die gewölbten Wände bescherten ihr ein unbehagliches klaustrophobisches Engegefühl.

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