Schlaf, Kindlein, schlaf
Sie tastete sich vorwärts und stellte fest, dass der Gang vor einem verrosteten Eisentor mit senkrecht aufragenden Speerspitzen endete, das eine Holztür schützte. Es war unmöglich. Da kam sie niemals hindurch. Sie rüttelte am Tor, aber natürlich war es verschlossen.
Eingesperrt – mit Grausen dachte sie an C.J.s Worte.
Máire schob die Hand zwischen die Gitterstäbe, schlug mit der Faust gegen die Tür und fragte vorsichtig: »Ist da jemand? Hallo? … C.J.?« Ihre Stimme hallte wie in einer Gruft.
»Hier!« Die Stimme war schwach und klang, als käme sie aus der Tiefe. Máire keuchte auf, richtete die Taschenlampe auf den Boden, machte sie an und sah, dass sie auf einer Luke aus Stahl stand. Ein Eisenring lag in einer Vertiefung in der Klapptür. Máire ging in die Hocke und zog ruckartig daran. Die Luke war schwer, und der Griff knirschte, als sie daran zog. Sie blickte in absolute Dunkelheit. Ein abscheulicher, stechender Geruch nach Fäulnis und Desinfektionsmittel schlug ihr entgegen und brannte in der Nase. Máire leuchtete in die Tiefe. Was sie sah, ähnelte einem Abflussrohr und war dazu da, Überschwemmungen vorzubeugen.
Vielleicht.
Die Vorstellung, sich da hinab zu begeben, gab Máire das Gefühl, als krabbelte ein Spinnenschwarm über ihren Rücken, und ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Trotzdem zwängte sie sich durch die Öffnung und überlegte kurz, wie sie wieder heraufkommen sollte. Möglicherweise würde sie nicht mehr zurückkommen können. Aber nein, die Polizei war ja unterwegs! Und an einer Seite des Rohrs entdeckte sie Sprossen. Sie sog die Luft ein und kletterte so weit sie konnte hinab, dann ließ sie sich in die Tiefe fallen. Sie landete unsanft auf dem steinernen Boden. Sie sah sich um, konnte jedoch nichts erkennen. Sie spürte das Messer in ihrer Tasche, doch im Fallen hatte sie die Taschenlampe losgelassen und sie war aus oder kaputtgegangen.
Die Dunkelheit umhüllte sie, schien von allen Seiten näher zu kommen, und sie fühlte sich, als wäre sie in einem Koffer eingesperrt. Hektisch tastete sie nach der Taschenlampe. Sie musste irgendwo in der Nähe sein, aber sie konnte nichts sehen. Sie wusste nicht, ob sie vor lauter Dunkelheit oder vor Angst blind war. Aber ihr Geruchssinn war intakt. Der Geruch – der scheußliche Gestank von Chemikalien – stieg ihr in die Nase und brachte ihre Augen zum Tränen. Sie konnte den Gestank förmlich schmecken.
Kies und Splitt knirschten, und eine Hand griff in der Dunkelheit nach ihr. Eine Frauenstimme schluchzte: »Gott sei Dank! … Oh Gott!«
Máire fuhr herum, der Schrei blieb ihr im Hals stecken, aber ihr Arm zuckte zurück, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen. Sie hörte nur ihren eigenen Herzschlag. Obwohl sie die Anwesenheit der anderen spürte und sich bemühte, sie zu sehen, blieb alles um Máire herum pechschwarz. Aber die Stimme kam ihr irgendwie bekannt vor, und ihr fiel sofort ein, woher …
»Val?«
»Máire?«
»Valerie! Oh, Gott sei Dank, Gott im Himmel sei Dank. Ich dachte, du wärst … oh, Gott!«
»Máire? … Bist du das?« Und dann: »Was machst du denn hier? Was ist los? Wo sind wir?«
»Ja, ich bin’s. Das ist eine lange Geschichte.« Máire wurde so einiges klar, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Erklärungen. »Wir sind in Savannah. Komm, wir müssen hier weg. So schnell wie möglich.«
»Oh, Gott!« Valerie war völlig verängstigt. »Er ist zu ganz fürchterlichen Sachen fähig … er hat mich an ein Kreuz gehängt … um zu sehen, wie das am Bildschirm wirkt …« Vals Stimme klang irgendwie belegt, und Maire vermutete, dass er ihr irgendwas gegeben hatte. »Ich habe die ganze Zeit geglaubt, ich würde sterben. Mehrmals war ich auch kurz davor, er hat versucht, mich zu ersticken, ich schwöre … Er, dieser … unheimliche Satan …«
»Ich weiß! … Ich weiß alles.«
»Wirklich? … Wie …?«
»Leise! Wir müssen hier raus. Schnell!«
Als Antwort klammerten sich Vals kalte, zitternde Finger an Máires Bluse. »Wer ist dieser Verrückte? … Und woher kennst du ihn?«
Máire legte ihre Hand beruhigend auf Vals und hieß sie stillschweigen. Vor ihrem inneren Auge tauchten LeBelles sandfarbenes Haar und seine stumpfen dunklen Augen auf. »Ein besonders psychopathischer Kerl. Und keiner, den ich gerne wiedersehen will … und schon gar nicht hier! Komm!« Máire fasste Vals Hand und zog sie zum Rohr. »Hier, fühlst du die Sprossen? Halt dich fest und zieh
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