Schlaf, Kindlein, schlaf
lag, das nicht real passierte.
Die Schritte entfernten sich wieder.
Irgendwie setzten sich ihre Beine in Bewegung, und mit zitternden Knien öffnete sie die Tür langsam ein paar Zentimeter weit.
Sie holte tief Luft. Adrenalin rauschte durch ihre Blutbahn. Er war höchstens einen Meter von ihr entfernt – eine massige, dunkle Gestalt im Mondschein, die mit raschen Schritten einen gewundenen Pfad einschlug, der in den Wald hineinführte. Ein Gefühl der Übelkeit überkam sie. Er hatte etwas Monströses an sich – die Art, wie er ging und sich bewegte: wie ein Schattenwesen, wie der Tod, der kam, um einen zu holen. Sie konnte sein Gesicht zwar nicht sehen, aber das brauchte sie auch gar nicht: Sie wusste auch so, wer er war. Er trug etwas, das aussah wie eine Leiche – wie der Nachtwächter in Halloween, abgesehen von der weißen Maske, aber ebenso bar jeder zivilisierten und menschlichen Empfindung.
Es war Máire, die er trug.
Scheinbar leblos hing sie über seiner Schulter: eine kraftlos schlenkernde Puppe. Ihr blasses Gesicht ruhte an seiner Achsel.
Valerie starrte sie an. Auf einen Schlag fröstelte sie, und ihr Herz raste.
Sie würde sich bewegen, wenn sie noch lebte, oder? Es sei denn, sie war bewusstlos …
Vielleicht war es das Beste, zum Haus zurückzulaufen und Hilfe zu holen? Nein, wenn Máire ohnmächtig war, konnte sie sterben, während Valerie drinnen war, um die Polizei zu rufen. Das war zu riskant. Außerdem musste sie wissen, wo er sie hinbrachte.
Statt zum Haus zu laufen, schlich Valerie vorsichtig und gebückt durch das Gras, stieg über die dicken knorrigen Wurzeln eines umgestürzten Baumes und kniff die Augen zusammen.
Der Mörder bewegte sich schnell. Sein weißes T-Shirt leuchtete in der schwarzen sternenlosen Nacht, und die Schaufel, die er in einer Hand trug, zeichnete sich scharf am Nachthimmel ab.
Valerie wartete, bis er einen größeren Vorsprung von etwa zwanzig Metern hatte, dann nahm sie die Verfolgung auf.
Der Pfad schlängelte sich zwischen Bäumen und Gebüsch hindurch. Als er das Haus ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte, wandte er dem Garten den Rücken, überquerte einen schmalen Wasserlauf und ging unter den hin und her wehenden Moosgirlanden hindurch und verschwand im Wald, als hätten ihn die schwarzen Bäume verschluckt.
Sie folgte ihm. Die Schmerzen in ihrem Knöchel kamen und gingen in Schüben. Sie zerkratzte sich ihre Beine und nackten Füße, doch das nahm sie kaum wahr.
Sie beschattete ihn aus sicherem Abstand und hoffte, er möge sie in dem knirschenden Schotter nicht hören. Ihr Blick war auf Máires leblosen Körper geheftet. Wohin brachte er sie? Oh Gott! Es war wie in einem nie enden wollenden Albtraum. Was hatte er vor? Was würde der nächste böse Traum bringen?
Er hielt inne, um sich zu orientieren, und sah sich um. Valerie duckte sich blitzschnell. Hatte er sie gesehen? Sie verfluchte ihr weißes Totenhemd, duckte sich noch tiefer und schloss die Augen wie ein Kind, das Verstecken spielte. Sie wartete einen Moment, dann reckte sie den Kopf langsam über die Büsche. Wenn er sie gehört oder gesehen hatte, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. Er lud sich Máire wieder auf die Schulter, als wäre sie leicht wie eine Feder. Ihre schlappen Arme schlugen gegen seinen Rücken, als er tiefer in den Wald hineinging. Valerie hörte seine rhythmischen federnden Schritte, die in der Stille widerhallten.
Sie kniete sich hin und wartete. Als sie das Warten nicht länger aushalten konnte, richtete sie sich unsicher auf. Sie konnte seine dunkle Silhouette in der Ferne erahnen. Er trug Máire zu einer Lichtung, ging bis zur anderen Seite und dann bergab, bis er aus Valeries Blickfeld verschwunden war. Valerie merkte sich die Stelle und lief in einem Bogen um den Pfad herum, wo sie mit den Schatten verschmolz und von niemandem entdeckt werden konnte. Dann erspähte sie ihn erneut. Sie packte den Hammer fester und überlegte, ob er ebenfalls bewaffnet war.
Schwerer feuchter Nebel hing unter dem dichten Blätterwerk der Bäume über dem Boden, aber sie konnte ihn im Profil sehen. Auf seinem Gesicht standen Schweißperlen, als würde die Luft kondensieren. Er sah wie eine Wachsfigur aus, starr und vollkommen ausdruckslos. Sämtliche Schönheitsfehler waren ausgemerzt worden.
Er hatte etwa fünfzig Meter Vorsprung, als er stehen blieb und das Bündel auf die durchweichte Erde legte.
Valerie war hin- und hergerissen. Was sollte sie tun? Versuchen,
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