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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich den Verstand verloren haben musste, als mir klar wurde, dass ich seit zwei Minuten kein einziges Wort von dem gehört hatte, was er gesagt hatte. Was war bloß mit mir los? Hungerte ich so nach männlicher Gesellschaft, dass ein nettes Mittagessen mich sofort von lebenslangem Glück fantasieren ließ? Ich musste mich bremsen, mich beruhigen und abkühlen. Bevor ich alles kaputtmachte.
    Gerne ließ ich mich vom Anblick zweier etwa fünf- bis sechsjähriger Jungen in identischen roten Badehosen ablenken, die sich in der Brandung balgten und wie zwei treibende Baumstämme ins Wasser gezogen wurden, bevor sie unter einer Serie immer größer werdender Wellen untertauchten. Ich sah mich auf dem vollen Strand um. Unter einem rot-weiß gestreiften Sonnenschirm döste ein älteres Paar, ein junger Mann baute mit seinem kleinen Sohn eine Sandburg, zwei Teenager warfen sich achtlos einen pinkfarbenen, neonleuchtenden Frisbee zu. Eine Frau mittleren Alters, deren Bauch über ihre Bikinihose quoll, marschierte mit rudernden Armen am Wasser entlang. Eine jüngere Frau reckte ihre Brustimplantate stolz in den wolkenlosen Himmel und sonnte sich. Niemand beaufsichtigte die beiden Jungen, wie
mir unvermittelt klar wurde, und mein Atem stockte, als ich einen der beiden kurz auftauchen und unter der nächsten Welle wieder verschwinden sah.
    »Haben Sie beobachtet, ob irgendjemand auf die beiden Jungen aufpasst?«, fragte ich Josh und blickte, in die grelle Sonne blinzelnd, weiter suchend den Strand auf und ab.
    Auch Josh ließ seinen Blick schweifen. »Irgendjemand wird schon zuständig sein«, meinte er wenig überzeugend, als einer der Kleinen mit den Armen zu fuchteln begann.
    Eine neue Welle drückte die Jungen unter Wasser, direkt gefolgt von einer weiteren, viel höheren. »Hilfe!«, wehte ein dünner Ruf an den Strand, unsicher und zittrig wie ein Surfer mit weichen Knien.
    »Hilfe!«, wiederholte ich laut und gestikulierte wild in Richtung des Rettungsschwimmers, der ein Stück den Strand hinunter damit beschäftigt war, ein minderjähriges Mädchen in einem schwarz-weiß gestreiften String und Beinen bis zum Hals zu beschwatzen. Ich habe mein Leben lang Alpträume vom Ertrinken gehabt, vielleicht weil ich nie richtig schwimmen gelernt habe. Aber ich konnte nicht einfach dasitzen und das Unglück geschehen lassen. Ich musste etwas unternehmen. »Wir müssen irgendwas tun!«, rief ich, während Josh schon in Richtung des Rettungsschwimmers rannte.
    »Hilfe! Hilfe!«, flehte die dünne Stimme, zu der sich jetzt eine zweite, noch verzweifeltere Stimme gesellte. Die Schreie hüpften über die Wasseroberfläche wie ein flacher Stein und versanken in einer Woge brodelnder weißer Gischt.
    »Irgendjemand muss doch was tun!«, rief ich den Leuten um mich herum zu, doch obwohl sich eine kleine Menschenmenge versammelt hatte, rührte sich niemand.
    Ohne weiter nachzudenken, warf ich meine Handtasche und die Schuhe in den Sand und stürzte mich in die Brandung. Kaltes Wasser spülte zwischen meine Beine und ließ
mein Kleid an den Schenkeln kleben. Eine unerwartete Unterströmung zerrte an meinen Füßen, meine Arme kreiselten wie verrostete Propeller um meinen Körper, und ich konnte mich nur mit Mühe auf den Beinen halten.
    »Hilfe!«, schrien die Jungen immer wieder, wenn ihre Köpfe kurz auftauchten wie Äpfel in einem Eimer Wasser. Ich stieß mich entschlossen ab und spürte, dass meine Beine unter mir wegklappten wie der Klappstuhl, auf dem ich eben noch gesessen hatte.
    »Ich komme«, rief ich mit dem bitteren Geschmack von Salzwasser auf der Zunge. »Haltet durch«, drängte ich, als der Boden unter meinen Füßen mit einem Mal ganz verschwand, als wäre ich von einer steilen Klippe gesprungen. Ich versuchte, meinen Kopf über Wasser zu halten, und tastete blindlings nach Halt, wobei ich aus Versehen auf etwas schlug, das sich zunächst wie ein Fels anfühlte, in Wahrheit jedoch ein kleiner Kopf war. Das lockige Haar glitt durch meine Finger wie Seegras.
    Ob es eiserner Wille, Schicksal oder einfach nur Riesenglück war, ich schaffte es jedenfalls, erst den einen und dann den anderen Jungen zu packen und Richtung Strand zu schleudern, wo sie von eifrigen Armen in Empfang genommen wurden. Ich hörte schrille aufgeregte Tadel – »Hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt sitzen bleiben, bis ich zurückkomme? Ihr wärt um ein Haar ertrunken!« -, bevor sich das Wasser wie eine hungrige Python erneut um meinen Leib schlang und mich

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