Schlaflos in Schottland
Michael an der Reihe. Sie beugte sich zu ihm hinunter und umarmte ihn besonders lange und herzlich. „Bleib im Haus und denk immer daran, die Medizin zu nehmen, die Dr. Felters dir hiergelassen hat.
Michael zog die Nase kraus, und seine braunen Augen sahen in seinem schmalen Gesicht riesengroß aus. „Wenn es unbedingt sein muss.“
„Es muss sein.“
Als Nächste umarmte Mary ihre Schwester und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich werde Michael im Auge behalten. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
„Danke.“ Triona lächelte ihre Schwester an und verkündete dann so laut, dass alle es hören konnten: „Ich übergebe dir die Verantwortung, Mary. Sorge dafür, dass William pünktlich bei seinem Lehrer ist und dass Michael seine Medizin nimmt und dass Robert keine Milch über irgendwelche Bücher schüttet und ...“
Während ihre Brüder protestierten, erwiderte Mary lachend: „Das werde ich tun.“
„Sehr gut! Auf Wiedersehen, meine Lieben. Ich komme wieder, sobald ich Caitlyn dazu gebracht habe, ihr Temperament ein wenig zu zügeln.“ Triona ging die Treppe hinunter, und William folgte ihr mit dem Koffer.
Lächelnd nickte sie der alten Kinderfrau zu, die von allen nur liebevoll „Nurse“ genannt wurde und tatsächlich bereits auf sie wartete, und ging weiter zur Kutsche. Mit ihren Gedanken war sie schon in London. Trotz der munteren Worte, die sie an ihre Geschwister gerichtet hatte, konnte sie nicht anders, als sich Sorgen zu machen.
Trionas erste Erinnerung an Caitlyn war der Anblick ihrer Zwillingsschwester, wie sie versuchte, aufs Treppengeländer zu steigen. Sie wollte unbedingt hinunterrutschen, obwohl ihnen das ausdrücklich verboten worden war. Später, als ihr gebrochenes Bein geschient war, hatte Caitlyn ihren Eltern gesagt, sie sei froh, es getan zu haben. Es habe großen Spaß gemacht.
Schon mit fünf war Caitlyn ein Temperamentsbündel gewesen, während Triona stets pflichtbewusst gehandelt und ihren Eltern niemals Sorgen bereitet hatte. Vater und Mutter erfuhren nie, wie oft Triona verhindert hatte, dass Caitlyn in noch schlimmere Schwierigkeiten geriet. Triona verstand ihre Zwillingsschwester besser als die meisten anderen Menschen. Sie wusste, dass Caitlyns ruheloser Geist sie nach Aufregung dürsten ließ. Sie liebte das Chaos, das überall entstand, wo sie auftauchte. Sie löste es nicht unbedingt absichtlich aus, aber sie tat auch nichts, um die Lawine aufzuhalten, wenn sie einmal ins Rollen gekommen war.
Triona dagegen liebte Ordnung über alles. Daher war es von klein auf ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass auch im Leben ihrer Geschwister Ordnung herrschte. Es war also nichts Neues für sie, Caitlyn zu Hilfe zu eilen. Doch diesmal konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass alles anders war als sonst.
In welche missliche Lage hast du dich dieses Mal hineinmanövriert, Caitlyn ?
2. Kapitel
Ach, meine Mädchen! Ihr wisst ja nicht, wie viel Kummer euch ein Mann bereiten kann - besonders einer, der sich nicht für euch interessiert, ganz gleich, was ihr anstellt.
So sprach die alte Heilerin Nora in einer kalten Winternacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.
Was soll das heißen - sie ist durchgebrannt?“
Tante Lavinia presste ein Taschentuch gegen ihre bebenden Lippen. Sie saß auf einem dick gepolsterten Kanapee mit pinkfarbenen Fransen. Ihr ebenfalls dick gepolsterter Körper war in feinste Seide gehüllt, die Fettschicht auf dem Spann ihrer Füße quoll über den oberen Rand ihrer schwarzen Satinschuhe, und sie sah im Großen und Ganzen so aus, als würde sie jeden Moment platzen.
„Es ist schrecklich!“, jammerte sie. „Vor ein paar Minuten bin ich in Caitlyns Zimmer gegangen - ich habe ihr das blaue Zimmer gegeben, weißt du, es hat die hübscheste Aussicht und ...“
„Tante Lavinia, bitte.“
„Ja, ja. Es tut mir ja so leid.“ Tante Lavinias Augen, die normalerweise in einem fröhlichen Blau leuchteten, füllten sich mit Tränen. „Ich wollte Caitlyn fragen, ob sie zum Dinner lieber Hammel oder kaltes Rindfleisch möchte. Die Köchin hat beides zubereitet, weißt du. Sie geht jeden Mittwoch auf den Markt und ..."
„Tante Lavinia!“ Triona zählte im Stillen bis zehn.
„Entschuldige, meine Liebe. Wie ich schon sagte, ging ich in ihr Zimmer und stellte fest...“ Tante Lavinia atmete zittrig ein. „... dass sie fort ist'.“
Triona wartete einen Moment. „Und?“, fragte sie dann.
Tante Lavinia blinzelte verwirrt und machte angesichts dieser
Weitere Kostenlose Bücher