Schlafwandler
versichern
können, dass wir unseren besten Mann darangesetzt haben, seine
Tochter zu finden. Und Sie sind unser Allerbester. Sagt man mir
jedenfalls.«
»Jawohl, mein
Präsident.«
»Mein Adjutant
wird Ihnen alle relevanten Informationen zur Verfügung
stellen. Sie werden die verschwundene bulgarische Prinzessin finden
und dafür sorgen, dass Sie wohlbehalten in die Arme ihres
wartenden Papas zurückkehrt.«
Kraus knallte erneut
mit den Hacken und kehrte in das Büro des Adjutanten
zurück.
»Prinzessin
Magdelena Eugenia.«
Kraus fand sich in
einem Vorzimmer wieder, zusammen mit einem rotäugigen Mann,
der genauso alt war wie sein Chef. »Ihr
Foto.«
Kraus war nicht
sonderlich glücklich über diese Situation. Wieso forderte
man ihn ausgerechnet jetzt auf, Emil und die Detektive zu spielen,
während ein grausamer Mörder sein Unwesen trieb? Der
Chirurg in dem Meerjungfrau-Fall kam ihm weit schlimmer vor als der
Kinderschänder, der schließlich ein Psychopath gewesen
war. Eine psychische Erkrankung, die einen Chirurgen befiel, der
daraufhin ein gesundes Mädchen verkrüppelte, war eine
vollkommen neue Kategorie. Etwas, das Kraus kaum begreifen konnte,
geschweige denn, dass er gewusst hätte, wie er ihm beikommen
sollte.
Aber das Foto von der
verschwundenen bulgarischen Prinzessin erregte seine
Aufmerksamkeit. Es war an einem Strand aufgenommen worden.
Magdelena Eugenia, eine schlanke, athletische junge Frau von
dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahren, zeigte darauf ihre Beine
in einem Badeanzug. Sie war zwar keine Schönheit, wirkte
jedoch lebhaft mit ihren dunklen Augen und dem breiten, strahlenden
Lächeln. Ihre Beine waren durchaus die gespielte Ehrfurcht des
jungen Mannes auf dem Foto wert, der so tat, als verbeuge er sich
davor.
»Das ist ihr
Gemahl, Konstantin Kaparov«, erklärte der Adjutant
rasselnd. »Er hat die Prinzessin als vermisst gemeldet,
gestern Morgen.«
»Und diesen
Herrn Kaparov finde ich wo? Logiert er noch im
Adlon?«
»Nein. Ich
glaube, Sie finden ihn heute beim
Sechs-Tage-Rennen.«
Kraus sah ihn an.
»Seine Frau ist verschwunden, und er besucht ein
Radrennen?«
»Nein.«
Der alte Mann gurgelte, als ränge er nach Luft. »Er
besucht die Veranstaltung nicht. Er fährt
mit.«
Da das Adlon um die
Ecke lag, beschloss Kraus, zuerst dort vorbeizufahren. Es war das
berühmteste Hotel der Stadt und lag an seinem
prächtigsten Boulevard, Unter den Linden. Zu seinen
Stammgästen zählte alles, was Rang und Namen hatte, von
Charlie Chaplin bis zu den Rothschilds. Und Hans, der
Chef-Concierge, war ein alter Freund von Kraus.
Die mit rotem Teppich
ausgelegte Lobby funkelte im Licht der Kronleuchter.
»Ja, ja, ein
großes Unglück.« Hans bedachte das Verschwinden
der Prinzessin mit einem Kopfschütteln. »Alle
Angestellten sind vollkommen aufgescheucht. Aber natürlich
weißt du bereits, dass sie nicht einfach aus ihrem Zimmer
verschwunden ist, Willi. Sie ist herausspaziert. Kurz nach
Mitternacht.«
»Hat jemand mit
ihr geredet?«
»Ja, ich denke
schon. Rudy, der Türsteher. Bedauerlicherweise hat er heute
frei. Aber ich könnte ihn herbeordern. Es dauert vielleicht
zwei Stunden. Er wohnt im Norden Berlins.«
»Mach drei
Stunden draus.« Kraus schlug Hans auf die Schulter.
»Ich muss zum Sechs-Tage-Rennen.«
»Ach so.«
Hans verstand sofort.
Am schnellsten kam man
mit der Straßenbahn zum Sportpalast. Kraus nahm die
überfüllte Linie 12. Über dem wogenden Meer aus
gepolsterten Schultern und großen Fellhüten konnte er
dennoch kaum die Nachmittagsschlagzeilen übersehen. Wer wird uns
führen?
Er hielt sich an einem
Lederriemen fest und las über jemandes Schulter hinweg
die Berlin
am Mittag. Es war schon schlimm genug, dass
die Hälfte von dem, was die Zeitungen schrieben, reiner
Müll war. Aber mittlerweile hatte die Presse es geschafft, die
Deutschen süchtig danach zu machen, in einer ständigen
Krise zu leben. In Berlin, wo es mehr Tageszeitungen gab als in
jeder anderen Großstadt der Welt, lebte die Hälfte der
Bevölkerung von den Adrenalinstößen, die ihnen von
den reißerischen Schlagzeilen injiziert wurden.
»Was zum Teufel
fällt dir ein, Jude?«
Alle Köpfe in der
Straßenbahn drehten sich herum. Kraus sah sich ebenfalls um,
weil er wissen wollte, wen der hagergesichtige Mann mit der
schwarzen Melone vor ihm beschuldigte, dann begriff er. »Nimm
deine dreckige Judennase aus meiner Zeitung!«
Kraus war einen Moment
wie betäubt. Er machte sich im Allgemeinen kaum
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