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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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dem Kinn auf ein großes blaues Mietshaus direkt an der Straße. Er schien weg zu wollen.
    »Gut«, sagte ich unschlüssig.
    Er hob mit einem kurzen, federnden Schwung das Rad aufseine Schulter und sagte in einem ganz anderen Tonfall: »Denn man tau.« Dann ging er rasch davon.
    Ich blieb staunend stehen. Wie bitte? Arne stellte alles auf den Kopf, was ich über Männer wusste. Er sah aus, als hätte er Botticelli als Modell gedient. Aber er benahm sich so reserviert wie eine Klosterschülerin. Er spreizte sich nicht und ließ sich nicht bewundern und zeigte überhaupt kein Interesse. Das war in der Tat eine neue Erfahrung für mich. Ich wollte unbedingt erreichen, dass er sich noch einmal nach mir umdrehte, nur, um zu beweisen, dass das Gesetz meiner Unwiderstehlichkeit auch für ihn galt.
    »Hey«, rief ich ihm hinterher. »Wie heißt du denn nun wirklich?«
    Er drehte sich tatsächlich kurz um, mitsamt dem Rad auf seiner Schulter.
    »Arne«, sagte er in einer Lautstärke, dass ich es gerade noch verstehen konnte. Und dann: »Ich bin Ruderer.«
    »Toll«, rief ich hinter ihm her, doch das hörte er wohl schon gar nicht mehr.
    Ich stieg wieder in meine Ente und warf kurz einen Blick auf den Rücksitz mit den Bildbänden, und ich dachte, die armen Heiligen, könnte sein, dass sie nun ausgedient hatten. Am selben Tag brachte ich die Bücher in die Bibliothek zurück, die Studienarbeit blieb unvollendet. Ich brachte es danach noch bis zu einer Abhandlung über die Uhren im Werk von Salvador Dalí, aber im Grunde war aus meinem Studium die Luft raus. Ich hatte ein neues Betätigungsfeld gefunden, das mich unendlich fesselte: Arne.
    Ich habe ihn mir später immer wieder verstohlen angesehen. Ein Champion, der sich aus sich selbst erklärte. Zwei Meter und drei Zentimeter groß, seine Haut glatt und klar, sein Gesicht eine seltsame Mischung aus kindlich und kantig, seine blauenAugen oft matt und leer und dann plötzlich milchig vor lauter Besessenheit. Und seine Hände – nicht etwa große, schwere Pranken, sondern klare, an seinem athletischen Körper schon beinahe zart wirkende Gebilde. Auf seine Weise konnte er damals alles sein – und gleichzeitig nichts.
    Es rührte mich, dass ausgerechnet er die Blicke der anderen so schwer ertragen konnte, nicht einmal meine. Er sagte dann: »Ich will Luft für dich sein.«
    Er hasste es aufzufallen, aber das ließ sich nicht verhindern mit diesem auffälligen Körper und diesem weißblonden Haar. Als wir uns kennenlernten, trug er es brav und kurz, später zog er einen Mittelscheitel und ließ sich kinnlange Strähnen wachsen, zuletzt band er sein Haar zu einem Pferdeschwanz im Nacken zusammen. Dabei hatte ich den Eindruck, er wäre extrem auf sein Aussehen bedacht, gleichzeitig eitel und allergisch gegen Aufmerksamkeit. Eigentlich immer auf der Flucht vor seiner eigenen, selbstinszenierten Wirkung. Er schaute sich beim Vorübergehen in jedem Schaufenster an. Als ich ihm aber übermütig vorschlug, sich einmal mit mir zusammen hineinzustellen in solch ein Fenster und uns von den Passanten bewundern zu lassen, wurde er sauer.
    Als wir einmal, als er mich zur Weltmeisterschaft mitgenommen hatte, nackt in einem Hotelbadezimmer vor dem Spiegel standen, und ich sagte, warte, das muss ich fotografieren, ich hole nur schnell meine Kamera, da packte er beinahe panisch ein Handtuch und wickelte sich ein. »Offlimits«, erklärte er.
    Wenn er einen Raum betrat, fuhren die Köpfe herum, Männer und Frauen bewunderten sein perfektes Aussehen gleichermaßen – er aber konnte zu meinem Ärger dann plötzlich linkisch werden.
    Mir schien es, als könnte Arne mit seinem eigenen Schatten mehr anfangen als mit sich selbst. Immer, wenn er im Sonnenlichtneben mir ging und seine Umrisse auf dem Boden sah, versuchte er, seinen Fuß daraufzusetzen und sie festzuhalten. Er sagte, das habe er schon als Kind versucht, und bis heute die Hoffnung, dass er es eines Tages schaffen würde, den Schatten am Boden festzunageln und dann schnell wegzulaufen. Als ich wieder zu Hause war, schrieb ich das auf. Später legte ich sogar ein Heft an, in dem ich seine merkwürdigsten Mitteilungen notieren wollte. Auf dem Umschlag schrieb ich: »Unfreiwillige Poesie«. Allerdings brachte ich es nie auf mehr als eine halbe Seite.
    Eines Tages nahm ich aus der Kunstwerkstatt in der Uni ein großes Stück Papier mit, entrollte es auf dem Boden seines Wohnzimmers und bat ihn, sich daraufzulegen. Dann zeichnete ich mit

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