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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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deren arrogante Höflichkeit mich bei der Begrüßung noch so gestört hatte, jetzt einfach weggegangen war. Ich wartete unschlüssig eine Minute, während der ich den langweiligen abstrakten Druck an der Wand betrachtete, packte dann meinen Recorder ein und trottete über den Teppich Richtung Aufzug.
    Ich hatte kaum den Knopf gedrückt, da signalisierte mir mein Mobiltelefon eine SMS von einer unbekannten Nummer.
    »Also gut. Montag acht bis neun.«

ANJA,
    Zusammenfassung einer Tonbandaufzeichnung, Montag, 25. Februar 2008
    Arne hat mich nicht verstanden, und vielleicht gefiel mir das sogar am besten an ihm: dass er nicht einmal so tat. Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich ihm sowieso nicht geglaubt. Niemand verstand mich. Ich verstand mich ja selbst nicht.
    Sie wollen von mir wissen, wie er als Mann war, als Freund, als Liebhaber? Wenn ich an die Zeit mit ihm zurückdenke, sehe ich dunkle Bilder, hier und da scheint ein Detail auf, obwohl die Handlung hauptsächlich im Sommer spielt, im strahlenden Licht, oft am Wasser, an lauten Regattastrecken, auf dem hellgrünen Rasen von Bootsplätzen, bei wilden Siegesfeiern. Wo ist der Zusammenhang? Es ist nicht etwa so, dass ich vergessen habe, was war. Es ist nur so: ich weiß nicht wirklich, was geschehen ist.
    Das alles ist lange her – fast 20 Jahre. Wenn ich beschreiben soll, wie ich selbst damals war, fallen mir nur extreme Begriffe ein: schrill. Schräg. Exzentrisch. Durchgeknallt. Orientierungslos. Ich wusste nicht, wer ich sein wollte. Dabei hätte ich es mir einfach machen können. Meine Eltern hatten für alles Verständnis, sogar dafür, dass ich mich für unseren Adelstitel schämte. Sie erklärten mir, dass der Titel nicht mehr war als ein Bestandteil meines Namens, aber ich wusste natürlich, dass das nicht stimmte. Die Bank heißt schließlich so: Von Osterthal. Meine Mitschüler nannten mich Mylady, und ich betrieb großen Aufwand, um ihnen zu beweisen, dass ich nicht zwangsläufig eine von Osterthal sein musste, nur weil meine Eltern es waren. Die wiederum hielten das für einen vorübergehenden Zustand. Das ließ mich noch mehr rotieren, wahrscheinlich, weil ich ahnte, dass sie recht hatten.
    Meine Eltern waren sich immer so sicher. Meine Freundinnen beneideten mich, seit ich denken konnte, um meine warmherzige und elegante Mutter. Und mein Vater ist bis heute ein Vorbild für alle. Ein Meister der Selbstdisziplin, ein extrem gut organisierter Mann. Heute noch steht er bei Morgengrauen auf, macht erst einmal Gymnastik und zieht dann 20 Minuten lang im Schwimmbad im Keller seine Bahnen. Er macht für sich und meine Mutter Frühstück, und wenn er um acht in der Bank erscheint, hat er den Wirtschaftsteil zumindest einer Tageszeitung bereits gelesen.
    Wie ich damals aussah, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Zu der Zeit, als ich Arne kennenlernte, hatte ich den riesigen Kleiderschrank im Haus meiner Eltern in verschiedene Abteilungen unterteilt – jede voller Kostüme für meine verschiedenen Rollen. Ich besaß elegante Sachen, schulterfreie Abendkleider und Blazer in grellen Farben mit dicken Schulterpolstern, Plateau-Pumps und glänzende Handtaschen. Ich hatte Hippie-Fächer für Rüschen und Romantik und besaß mehrere Hüte. Außerdem die komplette Ausstattung für höhere Töchter, Polohemden, Kaschmirpullover, Faltenröcke und flache Treter. Ich hatte sogar ein Gruftie-Fach mit schwarzen Sachen – wenn ich sie trug, schminkte ich mein Gesicht weiß und meine Lippen schwarz. Und schließlich gab es massenhaft Jeans, Karottenhosen und T-Shirts, mit denen ich mich in eine ganz normale Studentin verwandelte.
    In der Zeit, als ich Arne kennenlernte, machte ich gerade einen längeren Ausflug in die Kunstgeschichte und hatte mich in eine Studienarbeit über Märtyrer-Darstellungen in der bildenden Kunst vergraben. Am Tag, als wir uns zum ersten Mal sahen, lagen mehrere Bildbände zu diesem Thema auf dem Rücksitz meines grauen Citroën 2CV. Exaltiert, wie ich war, verbrachte ich damals den ganzen Tag mit meinen Märtyrern, verschlangLegenden und Berichte, las Folterbeschreibungen, blätterte in Bänden voll mit von Steinen zerschmetterten und auf dem brennenden Scheiterhaufen sich krümmenden Blutzeugen ihres Glaubens. Irgendwann entdeckte ich in Berlin Sandro Botticellis heiligen Sebastian, und da war es um mich geschehen. Dieses Gemälde ist kunstgeschichtlich bedeutsam wegen Sebastians asymmetrischer Körperhaltung, aber das war mir

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