Schlangen im Paradies
«Gestern abend fand sie in einem der Säcke einen weiteren anonymen Brief. Sie wollte ihn für mich fotokopieren, und das Original sollten dann Sie bekommen. Ich hab den Inhalt nach dem Gedächtnis niedergeschrieben. Wir hatten gehofft, anhand des Originals könnte man Rückschlüsse auf den Absender ziehen. Für den Schriftsatz der verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften gibt es doch einen Code, nicht wahr?»
«Ja.» Scott las den Text der beiden Briefe mehrmals. «Eine üble Geschichte.»
«Jemand versuchte systematisch, Leila kaputtzumachen», sagte Elizabeth. «Irgend jemand will verhindern, daß diese Briefe gefunden werden. Irgend jemand hat gestern einen von Sammys Schreibtisch genommen und den anderen vielleicht von Sammys Leiche gestern nacht.»
«Wollen Sie damit sagen, Sammy könnte ermordet worden sein?»
Elizabeth zuckte zusammen, sah ihn dann gerade an. «Das kann ich einfach nicht beantworten. Ich weiß mit Sicherheit, daß jemand wegen dieser Briefe in Panik geraten ist und sie unbedingt zurückhaben wollte. Ich weiß, daß mit einer ganzen Serie solcher Briefe Leilas Verhalten zu erklären wäre. Diese Briefe führten den Streit mit Ted herbei, und diese Briefe haben etwas mit Sammys Tod zu tun. Ich werde herausfinden, wer sie geschrieben hat, das schwöre ich Ihnen, Scott. Mag sein, daß eine strafrechtliche Verfolgung nicht möglich ist, aber es muß einen Weg geben, den Betreffenden dafür zahlen zu lassen. Diese Person stand Leila sehr nahe, ich habe da einen bestimmten Verdacht!»
Nach fünfzehn Minuten ging Scott, die Niederschriften der beiden anonymen Briefe in der Tasche. Elizabeth hielt Cheryl für die Verfasserin. Das klang plausibel. Cheryl war eine solche Infamie zuzutrauen. Vorher machte er noch einen Umweg zum rechten Flügel des Hauptgebäudes. Dort oben war das Fenster, an dem Sammy gestanden hatte, als sie den Fotokopierer ein-schaltete. Falls nun jemand auf der Treppe zum römischen Bad sie heruntergewinkt hätte …
Durchaus möglich. Aber natürlich wäre Sammy einer solchen Aufforderung nur gefolgt, wenn es sich um jemand handelte, den sie kannte. Und dem sie vertraute.
Die anderen waren bereits beim Hauptgang, als Scott zu ihnen stieß. Der freie Stuhl befand sich zwischen Min und einer Frau, die als Alvirah Meehan vorgestellt wurde. Scott ergriff die Initiative und begrüßte Ted. Ihm entging nicht, wie Cheryl sich um Ted bemühte, wie sie immer wieder den körperlichen Kontakt suchte. Kein Wunder, wenn sich die Frauen um einen so außergewöhnlichen Mann rissen, wenn ihnen jedes Mittel recht war, ihn einer anderen auszuspannen …
Scott bediente sich von den Lammkoteletts, die der Kellner ihm auf einer Silberplatte servierte.
«Sie sind köstlich», tuschelte ihm Alvirah Meehan zu. «Bei den winzigen Portionen können die hier nie pleite gehen, aber ich versichere Ihnen, hinterher haben Sie das Gefühl, Sie hätten
’ne Riesenmahlzeit verputzt.»
Alvirah Meehan. Natürlich. In der Monterey Review hatte Scott über die Frau mit dem Lotteriegewinn von vierzig Millionen Dollar gelesen, die sich mit dem Aufenthalt in Cypress Point Spa einen lebenslangen Wunschtraum verwirklichen wollte. «Gefällt es Ihnen hier, Mrs. Meehan?»
Alvirah strahlte. «Und wie. Alle sind so reizend und so freundlich zu mir.» Ihr Lächeln galt der ganzen Tischrunde. Min und Helmut bemühten sich, es zu erwidern. «Bei den Anwen-dungen kommen Sie sich wie eine Prinzessin vor. Die Diätbera-terin meint, in zwei Wochen könnte ich spielend fünf Pfund abnehmen. Morgen kriege ich Kollagen gegen die Falten um den Mund. Ich hab ’ne Mordsangst vor Spritzen, aber Baron von Schreiber gibt mir was für die Nerven. Bei der Abreise werde ich mich wie neugeboren fühlen … Wie ein Schmetterling, der auf einer Wolke dahinsegelt.» Sie wies auf Helmut. «Das hat der Baron geschrieben. Ist er nicht ein richtiger Dichter?»
Alvirah merkte, daß sie zuviel redete. Sie hatte ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Spitzelrolle als Reporterin und deshalb das Bedürfnis, über jeden hier etwas Nettes zu sagen. Doch jetzt sollte sie besser den Mund halten und aufpassen, ob der Sheriff sich zu Dora Samuels’ Tod äußern würde. Zu ihrer Enttäuschung kam dieses Thema überhaupt nicht auf. Erst bei der Va-nillemousse fragte der Sheriff nicht von ungefähr: «Sie sind doch alle in den nächsten paar Tagen hier erreichbar? Oder ge-denkt jemand abzureisen?»
«Unsere Pläne stehen noch nicht fest», erklärte
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