Schlangenblut (German Edition)
ihren Hals hinunter, und Fletchers Atemgeräusche klangen ungewöhnlich laut in diesem Ohr. Er schnaubte wie ein gestrandeter Wal bei der Paarung, als er seine Waffe ins Holster steckte und durch das große Loch, das er in die Tür geschossen hatte, nach der Klinke griff.
Sie hätte ihn in diesem Augenblick überwältigen können, doch mit der Totmannschaltung hatte das keinen Sinn. Sie musste ihn hineinbringen, an den sichersten Ort, der ihr einfiel.
Er stieß sie durch die offene Tür. In den Labors war es dunkel. Sie tastete sich an der Wand entlang, fand den Lichtschalter, und plötzlich standen sie zwischen Edelstahltischen, glänzenden und teuer wirkenden Mikroskopen und einer dicken Stahltür mit dem Schild Autopsie.
Lucy schüttelte den Kopf in dem Versuch, das durch den Schuss ausgelöste Rauschen in ihrem Ohr zu verringern. Ihr Gleichgewichtssinn war gestört, das eine Trommelfell geplatzt. Doch das war ihre geringste Sorge.
Sie ging voraus zu der Tür aus Edelstahl, die nicht verschlossen war. Sie öffnete sie. Hinter der Tür lag ein Flur mit gefliesten Wänden, rechts ein Raum mit Glaswänden und Obduktionstischen, links ein größerer Bereich mit mehreren leeren Tragbahren und Röntgengeräten.
Und geradeaus vor ihr war das, worauf sie gehofft hatte. Die große, breite, dicke Stahltür eines Kühlraums.
»Sie hasst die Dunkelheit«, sagte er und stieß sie vorwärts. »Holen Sie sie da raus.«
»Sie sind doch derjenige, der sie in die Dunkelheit gesperrt hat«, erinnerte sie ihn. »Und sie dort gequält hat.«
Nun, da sie hier waren, musste sie Zeit gewinnen, damit das Krankenhauspersonal so viele Patienten wie möglich evakuieren konnte. Sie hatte keine Ahnung, ob ihr Plan bei der Menge von C4, die Fletcher an der Brust trug, überhaupt funktionieren konnte.
»Ich weiß«, heulte er. »Ich musste doch dafür sorgen, dass alles gut wird. Das ist alles, was ich wollte – dafür sorgen, dass für sie alles gut wird, und ihr eine Chance geben in einem neuen Leben.«
»Ein vierzehnjähriges Mädchen zu misshandeln war Ihre Art, dafür zu sorgen, dass alles gut wird?« Noch während sie sprach, hörte Lucy, wie sich hinter ihr etwas bewegte. Sie ging langsam auf die Kühlraumtür zu und versuchte, in den spiegelnden, verdunkelten Fenstern des Sektionssaals etwas zu erkennen.
»Ich habe niemanden misshandelt!« Nicht nur seine Stimme zitterte, sondern auch der Finger, mit dem er die Totmannschaltung hielt.
Lucy blieb stehen, wandte sich um und blickte ihm in die Augen, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Ich habe die Scheune gesehen, Jimmy. Ich habe gesehen, wo Sie Ashley gefangen gehalten haben, angebunden wie ein Tier. Und Sie haben sie mit Schlangen gequält. Was haben Sie ihr sonst noch alles angetan, Jimmy?«
Die Bewegung am Eingang hatte aufgehört. Lucy sah etwas in den dunklen Fenstern und spürte, wie ihre Entschlossenheit zu bröckeln begann. Megan trat einen Schritt vor, sie hatte eine Pistole in der Hand und zielte auf Fletcher. Neben ihr stand Ashley. Fletcher hatte ihnen den Rücken zugewandt, und Lucy wollte alles tun, damit dies auch so blieb.
»Sie haben eine kranke Phantasie, Lucy. Ich habe sie nie angerührt – nicht so, wie Sie denken. Ich habe sie gerettet. Das war alles unvermeidbar und nur zu ihrem Besten.«
Lucy kam schon fast an den Türgriff, nur ein Schritt fehlte noch. Sie bewegte sich weiter im Zeitlupentempo auf den Kühlraum zu in der Hoffnung, dass Fletcher ihr folgen und Ashley und Megan verschwinden würden. Stattdessen sah sie, wie Ashley Megan die Pistole abnahm. Sie hielt den Atem an, als sie daran dachte, wie Ashley ein paar Stunden davor auf sie gezielt und abgedrückt hatte.
Sie griff nach der Kühlraumtür und riss sie auf. Nun blieb ihr nur noch eine Waffe – die Wahrheit.
»Ein kleines Mädchen zu quälen soll zu ihrem Besten sein? Und was war mit dem Mädchen, das Sie im Tastee Treet getötet haben, Jimmy? Wussten Sie, dass sie ein vier Monate altes Kind hatte? Und was war mit Vera Tzasiris? Sie war erst neunzehn, sprach kaum Englisch – haben Sie sie auch gequält, bevor Sie sie umgebracht haben?«
Er nickte entschieden bei jeder Beschuldigung, die sie ihm an den Kopf warf. »Ich hatte keine andere Wahl. Sie mussten sterben, damit ich Ashley retten konnte.«
»Es war gar nicht Bobby.« Ashleys Stimme hallte rau und hart durch den gefliesten Korridor. »Sie waren das. Die ganze Zeit.«
Fletcher zuckte zusammen, bevor er
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