Schlangenfluch 2: Ravens Gift (German Edition)
fünf Uhr morgens mein Rad putzt?“
Die Felgen glänzten. Ebenso die Speichen und der Rahmen. Die Reifen waren aufgepumpt und die Kette war festgezogen. Gegen die Kratzer ließ sich nichts machen. Laurens hatte nicht den passenden Edding, aber warum hatte sich Jarek auch ein hellgrünes Rad ersteigern müssen?
„Nicht dass du denkst, ich wüsste deinen Eifer nicht zu schätzen, aber das Rad fristete im Keller ein Dasein unter Spinnweben und Staub, weil ich es wegschmeißen wollte.“ Jarek hockte sich neben ihn und pfiff durch die Zähne. „Für eine Schrottschese, deren hundertster Besitzer ich bin, sieht das Ding toll aus.“
Diese komplett sinnfreie Aktion hatte es geschafft, ihn knappe drei Stunden von dem reißenden Gefühl in seiner Brust abzulenken.
„Ich will dir nicht reinreden und ich weiß es auch zu schätzen, dass du dich arbeitstechnisch intensiv in unsere WG einbringst, aber gestern hast du das Endstück des Auspuffrohrs meiner Karre poliert. Von innen.“ Jareks kritischer Seitenblick wurde von einem Brauen Hochziehen unterstrichen. „Was fehlt dir?“
Samuel. Seit drei Wochen und einem Montag, einem Dienstag, einem Mittwoch und fast einer Nacht. „Nichts. Was soll mir fehlen?“
„Hast schon besser gelogen.“ Jarek nahm ihm den Öl Lappen aus der Hand. „Das Klo glänzt, das Sofa ist Pizzareste frei, die Fenster sind so sauber, dass ich mir gestern den Kopf angestoßen habe, weil ich dachte, es sei offen. Hör mit der scheiß Putzerei auf.“
Arbeit lenkte ab. Und Zeichnen ging nicht. Dazu war er zu leer. Aber ohne Ablenkung war der Schmerz nicht zu ertragen.
Laurens fühlte nach dem Handy in seiner Tasche. Hundertmal hatte er anrufen wollen. Hundertmal hatte er es gelassen. Das hier war Samuels Entscheidung. Wenn er sich nicht meldete, hatte er ihm nicht verziehen. Hatte er ihm nicht verziehen, wollte er ihn nicht mehr. Ganz einfach. Seine Kehle brannte stärker als seine Augen. Verflucht noch mal.
„Ich habe dich noch nie heulen sehen.“ Zögernd näherte sich Jareks Finger und fing etwas von Laurens’ Wimper auf. „Scheiße Mann. Was ist denn los?“
„Nichts.“
Von seinem Kinn tropfte es in immer kürzeren Intervallen.
Jarek packte ihn an den Schultern und drehte ihn zu sich. „Sag mir sofort, was in Schottland passiert ist.“
Angst, Tod, Liebe, Verlust. Verzweifelte Einsamkeit und ein Herz, das ihn nicht mehr wollte. Es war zu viel, um es in Worte zu fassen.
„Es hat etwas mit diesen Mac Laman-Brüdern zu tun. Stimmt’s? Die haben dich zu irgendetwas gezwungen.“ Schmale Augen, geschürzte Lippen. Jarek malte sich menschliche Abgründe aus. Er lag richtig, verdächtigte nur die Falschen. „Satanismus? Dieser Raven sah total danach aus.“
„Blödsinn.“
„Oder eine andere fiese Sekte? Du musst dich aus diesen Klauen befreien.“
„Hör auf.“ Laurens schüttelte Jareks Hände ab und verdrückte sich ins Bad. Die vergangenen Wochen hatten ihn gelehrt, dass sich Verzweiflung am besten allein ertragen ließ.
„Bist du krank?“ Jarek schob den Fuß in die Tür, bevor Laurens eine Chance hatte, abzuschließen. „Was Gruseliges?“
Hoffentlich nicht, aber ein Gummi zur rechten Zeit wär’s gewesen.
„Krebs? Aids?“
„Fresse und raus!“
Jarek zuckte zusammen. „Schon gut, aber das Thema ist noch nicht durch.“
Wenn Samuel nicht anrief, wäre es das nie.
***
„Ich bringe ihn um!“ Ian brüllte vor Wut, dabei war er erst seit einer knappen Stunde in Mhorags Manor. Offenbar hatte er mit Raven gesprochen. Eine Tür knallte, Erin zeterte, jemand stapfte die Treppe hoch. Wenn Samuel die Augen schloss und sich nicht bewegte, wurde er vielleicht unsichtbar.
Keine mitfühlenden Blicke, kein nächtliches Herumschleichen vor seiner Tür. Raven kam nie herein, klopfte nicht. Er blieb nur jede Nacht etwas länger draußen stehen. Samuel wartete jedes Mal schweigend, bis sich Ravens Schritte wieder entfernten. Dann ging er tauchen oder saß stundenlang am Ufer, bis es Morgen wurde. Alles, was ihn vom Schlafen abhielt, war gut, denn mit dem Schlaf kamen die Träume. Gute und böse, aber sie alle handelten von Laurens und schlugen ihm die Wahrheit ins Gesicht, dass er ihn verloren hatte.
Ian stürmte ins Zimmer. Samuel kämpfte sich aus schwarzen Gedanken, um ihn anlächeln zu können.
„Sag mir sofort, was mit meinem Vater ist!“ Die hektischen roten Flecken zogen sich bereits über Ians Brust und verschwanden erst spät im Hemd. Sein gespieltes
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