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Schlangenhaus - Thriller

Schlangenhaus - Thriller

Titel: Schlangenhaus - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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ich. »Wenn er die Nacht übersteht, schaue ich mir das Bein morgen früh mal an. Vielleicht kriegen wir es ja mit einem Nagel wieder hin.«
    Harriet war noch immer im OP und reinigte anscheinend das Telefon mit Desinfektionsmittel. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie sie Craig einen Blick zuwarf.
    »Alles okay?«, fragte dieser mich.
    Langsam nickte ich und nähte weiter. Mit aller Kraft zwang ich mich zur Konzentration und wusste, dass Harriet lautlose Worte für Craig formte und er sich bemühte, sie ihr von den Lippen abzulesen. Er schaute nicht mehr auf den Kopf des Dachses, und es bedarf einer Menge, um ihn abzulenken. Ich blickte kurz auf.
    »Ich glaube, er wird wach«, bemerkte ich. Die Gedanken wieder bei der Arbeit, schaute Craig nach unten.
    »Clara, Sie sollten nach Hause gehen. Fahren Sie zu Ihrer Familie«, versuchte Harriet es.
    »Wenn ich fertig bin«, antwortete ich, ohne aufzublicken. »Können Sie dafür sorgen, dass Blutproben ans Veterinäramt geschickt werden? Und was machen die Jungen?«
    Sie zuckte die Achseln, warf Craig einen letzten Blick zu und verließ das Zimmer.

    Als ich den anderen Dachs holen ging, kam ich an der Jungtierstation vorbei. Die drei verwaisten Jungen kauerten in einem Brutkasten. Sie hatten ein wenig Milch getrunken, lagen japsend und maunzend da und drängten sich auf der Suche nach Wärme dicht aneinander. Winzig, verängstigt, mutterlos.
    Wie ich.

4
    Die Tierklinik Little Order of St. Francis, bei der ich seit fast fünf Jahren arbeite, war Ende des 19. Jahrhunderts von katholischen Mönchen gegründet worden, um kranke und verletzte Wildtiere zu versorgen. Heute hält eine Stiftung die Einrichtung am Leben: Wir bekommen Spenden aus aller Welt; Hunderte von Menschen sind für einen Jahresbeitrag unsere »Freunde«, und das Besucherzentrum zieht jedes Jahr Tausende an. Wir behandeln alle wild lebenden Tiere Großbritanniens – Säugetiere, Reptilien, Vögel, Amphibien –, egal, wie klein oder wie schwer verletzt. Nur wenn ein Tier solche Schmerzen hat, dass es Tierquälerei wäre, sein Leiden zu verlängern, schläfern wir es ein. Manche Leute werfen uns vor, übermäßig sentimental zu sein und Geld zu verschwenden, das sinnvoller verwendet werden könnte. Aber ich persönlich bin der Meinung, die Menschen sollten selbst entscheiden dürfen, wofür sie spenden. Außerdem glaube ich, dass jedes Leben einen Wert und einen Zweck hat, auch die kleinen, die heimlichen, die kurzen Leben.
    Der dritte Dachs war nicht so schwer verletzt. Nach einer halben Stunde hatte ich ihn bereits versorgt. Als wir fertig waren, wartete Harriet abermals auf mich, und ich wappnete mich für den Spießrutenlauf. Aus mütterlicher Fürsorge heraus würde sie mir eine Pause verordnen, mir heißen, süßen Kaffee bringen, mich zwingen, zu reden. Und – mit ein wenig Glück – würde ich dabei zusammenklappen und mich an ihrer Schulter ausweinen. Harriet kannte mich seit fünf Jahren. Man sollte doch meinen, dass sie es inzwischen besser wissen müsste.
    Ich machte mich auf den Weg zur Jungtierstation und Harriet musste fast traben, um mit mir Schritt zu halten.

    »Clara, am Empfang wartet jemand auf Sie. Einer von den Ärzten vom Dorset County. Er ist schon seit fast einer Stunde hier. Ich habe ihm gesagt, dass Sie viel zu tun haben und dass – na ja, dass es gerade nicht passt –, aber er sagt, es sei wichtig. Irgendwas wegen einer Schlange.«
    Ich blieb wie angewurzelt stehen, so dass Harriet von hinten in mich hineinlief. Das Baby, das ich heute Morgen gerettet hatte, war bestimmt zur Beobachtung ins Dorset County Hospital in Dorchester gebracht worden. Wenn der Arzt mich dringend sprechen wollte, wenn er sogar hier war, dann musste die Kreuzotter das Kind doch gebissen haben. Wie konnte ich das übersehen haben? Ich machte kehrt und eilte zur Rezeption. Ein junger Mann in Jeans und Pullover sprang auf, als er mich sah. Eine große Schultertasche stand neben seinem Stuhl. Mit ausgestreckter Hand kam er auf mich zu, um mich zu begrüßen. Wir waren uns noch nie begegnet, doch er schien absolut sicher zu sein, dass ich die Frau war, die er suchte. Irgendjemand hatte ihm wohl beschrieben, wie ich aussehe.
    »Miss Benning? Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen. Harry Richards. Ich bin Arzt und arbeite im Dorset auf der Intensivstation. Ich würde Sie gern um einen Rat bitten.«
    »Geht’s um das Baby?« Der Name der Familie wollte mir nicht einfallen. »Das Baby, das heute Morgen

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