Schlangenkopf
nicht, es ist auch nicht wichtig für ihn.
Für ihn ist wichtig, dass es um diese Kirchenruine geht. Und dass an diesem Sonntag bereits vorgestellt wird, was dort gebaut werden soll. Manchmal, aber nur manchmal können die Dinge in diesem Land sehr schnell gehen. Ist es nicht erst zehn Tage her, dass der Kaufvertrag für die Ruine – oder vielmehr das Grundstück, auf dem sie steht – abgeschlossen worden ist? Doch, zehn Tage, er weiß es, er war ja dabei.
Noch einmal wirft er einen Blick auf das Foto. Könnte es sein, dass sich in dem Bild dieser schmalen strengen jungen Frau Ähnlichkeiten oder Anklänge an ein ganz anderes Gesicht finden? Für einen Augenblick ist er versucht, Schwester Françoise einen Schnurrbart ins Gesicht zu malen. Aber das ist ihm dann doch zu albern.
Er steht auf, zieht Pullover und Sakko an, zögert einen Augenblick, legt das Sakko wieder ab und schlüpft in den alten Trenchcoat, den er einmal in einem Secondhand-Laden gekauft hat. Eigentlich ist ja schon Frühling und der Trenchcoat dafür zu schwer und zu warm. Aber er hat auf jeder Seite neben den Taschen auch noch Öffnungen, durch die man hindurchgreifen kann. Zum Beispiel, wenn man das Taschentuch schnell mal aus der Hosentasche holen will, ohne den Mantel vorher umständlich aufknöpfen zu müssen. Oder die Beretta, die einer im Hosenbund stecken hat.
D er Mann, der Solveig Lunden öffnet, ist nicht mehr jung, hat krauses Haar und keinen Drei-Tage-Bart, sondern ist einfach nur unrasiert. Unverzüglich beginnt er, sich wortreich sowohl zu bedanken als auch um Entschuldigung zu bitten.
»Hören Sie auf«, sagt sie, »ich wundere mich selbst genug darüber, dass ich überhaupt gekommen bin. Sie wollten die Taxi-Rechnung übernehmen, sagten Sie?«
Vor einer Stunde war Solveig Lunden von Dingeldey angerufen worden – sie sei doch mit Barbara Stein verabredet? Ob dieses Gespräch in seiner Kanzlei stattfinden könne? Er sei Rechtsanwalt und von Barbara Stein mit der Prüfung von Dokumenten beauftragt, die möglicherweise aus dem Besitz von Christian Fausser stammen, unter Umständen aber nicht ihm, sondern der Staatsanwaltschaft übergeben werden müssen.
Solveig Lunden ist Journalistin. Ihr ist klar gewesen, dass Dingeldey mit Absicht eine Formulierung gewählt hat, die sie neugierig machen soll. Trotzdem ist sie gekommen, ist dann aber doch unangenehm überrascht, als sie von dem Anwalt in ein Besprechungszimmer geleitet wird, in dem sie nicht nur Barbara Stein antrifft, sondern auch Carmen Ruff und Carla Jankewitz, von denen sie die eine so wenig leiden kann wie die andere. Sie beschließt, aus ihrer Abneigung keinen Hehl zu machen, und belässt es bei einem kurzen Kopfnicken als Begrüßung.
Wie von selbst nehmen Carla Jankewitz und Carmen Ruff auf der einen, Solveig Lunden und Barbara Stein auf der anderen Seite des Besprechungstisches Platz, dann setzt sich auch Dingeldey und will sich noch einmal für das Erscheinen der Besucherinnen bedanken, als ihm auch schon Solveig Lunden ins Wort fällt.
»Sie haben am Telefon von Dokumenten gesprochen, die Christian Fausser zugeordnet werden. Was für Dokumente sind das, und kann man sie einsehen?«
»Das wird doch nur das Material aus dem Notebook sein, das man dem Chef im Krankenhaus gestohlen hat«, wirft Carla Jankewitz ein.
»Richtig«, sagt Carmen Ruff, »und da wollte ich schon mal fragen, warum Sie das nicht einfach zurückgeben.«
»Das ist leider nicht so einfach, meine Dame«, antwortet Dingeldey. »Diese Schriftstücke sind sehr wahrscheinlich Beweismaterial in einem Mordfall.«
Für einen Augenblick herrscht Schweigen, dann sagt Carla Jankewitz in die Stille hinein: »Unsinn! Was für ein alberner Mord soll das denn sein, und was haben wir oder was hat Christian Fausser damit zu tun?«
»Ein Mann wurde umgebracht, weil er mit einem anderen verwechselt wurde«, erklärt der Anwalt. »Dieser andere hatte versucht, Fausser eine bestimmte Information zukommen zu lassen. In Verbindung mit dem Material, das Fausser besaß, hätte diese Information große Sprengkraft entfaltet.«
»Können Sie das noch etwas geschwollener ausdrücken?«, will Solveig Lunden wissen.
»Natürlich geht das alles auch einfacher«, räumt Dingeldey ein. »Entschuldigen Sie! Also, was ich wissen will – vor zehn Tagen, am Donnerstag vergangener Woche, hat ein Mann, der sich Zlatan Sirko nennt, bei Fausser angerufen, genauer: Er hat die Nummer von Faussers Anschluss im Haus des Bundestages
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