Schlangenkopf
hat.
»Hau ab!«, sagt er zu Zlatan, und der wendet sich um und rennt über die Straße und auf dem Gehsteig weiter, an drei oder vier oder noch mehr Häusern vorbei, irgendwann bleibt er stehen, weil er auf einmal nicht mehr kann oder will und weil sein ganzer Körper zittert und ihm die Knie schier versagen. Und so blickt er zurück und sieht, wie der Schatten sich die Lederjacke anzieht und in die gleiche Richtung geht, nur auf der anderen Straßenseite, und wie er an der Einmündung zum Garnisonfriedhof nach rechts abbiegt, wie es auch Zlatans Heimweg gewesen wäre. Und während Zlatan sich gegen eine Hauswand lehnt und zusieht, wie sich der Schatten die Straße hinunterbewegt, mitten auf der Fahrbahn, und das spärliche Licht von den weißen Streifen am Schulteransatz der Biker-Jacke reflektiert wird – während Zlatan also an der Hauswand lehnt und Atem schöpft, springt am Straßenrand ein großer dunkler Wagen an, die Scheinwerfer leuchten auf, der Wagen wird aus der Parklücke heraus beschleunigt … und dann ist der Blick auf den Mann in der Lederjacke auch schon verstellt, Zlatan sieht nur noch die Rücklichter, hört den hochdrehenden Motor, die Rücklichter bewegen sich merkwürdig, als würde der Wagen in Schlangenlinien gesteuert, und tatsächlich gerät er sogar auf den Bürgersteig, schrammt an der Friedhofsmauer entlang und rauscht wieder zurück auf die Fahrbahn, und durch die Nacht hört Zlatan einen Schrei oder einen Schlag …
Und plötzlich begreift er, ein eiskalter Schrecken läuft ihm über die Arme und kräuselt ihm die Haut, und er wendet sich ab und geht, so schnell es eben geht, wenn man sich gerade noch auf den Beinen halten kann, und verschwindet in der Nacht.
D ie Mondsichel, vor ein zwei oder drei Stunden noch links unten im Rechteck des Panoramafensters sichtbar, hängt dort nun rechts und fast oben. Im Atelier ist es zu warm und die Luft zu trocken, Christian Fausser braucht etwas zu trinken, und pinkeln muss er auch. Behutsam richtet er sich auf und wirft einen Blick nach rechts, Solveig liegt auf der Seite und hat ihm den Rücken zugekehrt, die dünne Decke zeichnet die Linie von Hüfte und Taille nach. Schläft sie? Er horcht auf ihre Atemzüge, aber sein Gehör ist nicht mehr besonders gut, schließlich sieht er, dass sich die Schulter ein wenig hebt und dann wieder senkt, in gleichmäßigem Rhythmus, und so schwingt er die Beine vom Bett und steht auf und tastet sich durch das Halbdunkel des Zimmers zum Bad … Dort schaltet er das Licht erst ein, als er die Tür hinter sich geschlossen hat. Er vermeidet einen Blick in den Badezimmerspiegel, setzt sich – nach vorne gebeugt – auf die Kloschüssel … Nach dem Geschlechtsverkehr ist gut Pinkeln, denkt er, warum sagt das keiner den alten Männern?
Weil es nur denen hilft, die von selber drauf kommen können.
Vorsichtig – als würde er damit etwas weniger Krach machen – drückt er auf die Spültaste, dann geht er zum Waschbecken, lässt kaltes Wasser in seine zu einer Schöpfkelle geformten Hände laufen und spült sich damit den Mund. Noch einmal schöpft er Wasser und klatscht es sich ins Gesicht, und weil seine rechte Hand sich pelzig anfühlt, hält er das Handgelenk unters kalte Wasser. Als er sich schließlich abtrocknet, kann er es nicht vermeiden und sieht einen nackten Männerkörper im Türspiegel, einen Körper mit dünnen Armen und einem auf die Hüfte hängenden Bauchansatz.
Er zieht eine Grimasse, verlässt das Bad und geht ins Zimmer zurück, das nun plötzlich erhellt ist vom bläulichen Licht des Fernsehers. Solveig sitzt im Bett, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, bekleidet mit nichts als ihrem langen schwarzen Haar, das über die linke Schulter fällt, und starrt über das Bett auf den Wandbildschirm, auf dem ein amerikanischer Nachrichtensender Aufnahmen zerschossener Lastwagen und aufgeregter Männer in Kampfanzügen zeigt.
»Muss das sein?«, fragt Fausser.
»Da haben sie wieder Scheiße gebaut, diesmal ganz gewaltig«, sagt Solveig und stellt den Ton des Fernsehers ab. »Dutzende von Leuten, die sich einen armseligen Kanister Benzin zapfen wollten, sind tot, verbrannt, zerrissen, vielleicht sind es nicht bloß Dutzende, sondern hundert oder mehr …«
»Wer soll das angestellt haben?«.
»Die Bundeswehr und die Amerikaner, was weiß ich! Beide zusammen. Erst hat sich die Bundeswehr beklauen lassen, dann haben die Amis die geklauten Tankwagen bombardieren müssen … Wenn ihr
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