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Schlangenlinien

Titel: Schlangenlinien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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fragte mich, wie scharf ihr Gehör war und ob sie den Zorn, der in meiner Stimme mitschwang, auffangen konnten. Wir beobachteten sie eine Weile schweigend, und ich wettete im Stillen darauf, dass Sam jetzt einen Rückzieher machen würde – wie immer, wenn die Rede auf jene Ereignisse in unserem gemeinsamen Leben kam, die uns an den Rand der Scheidung getrieben hatten. Und prompt schwenkte er ab.
    »In rein finanzieller Hinsicht hat Jock aber wahrscheinlich Recht«, sagte er. »Hätten wir das Haus behalten und vermietet, dann hätten wir all die Jahre hindurch nicht nur ein zusätzliches Einkommen bezogen, sondern außerdem einen Gewinn von tausend Prozent gemacht.«
    »Das Haus war mit einer Hypothek belastet«, entgegnete ich. »Die Mieteinnahmen wären für die Tilgung draufgegangen, und wir hätten nie einen Penny von dem Geld gesehen.«
    »Aber Jock sagt...«
    Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als er mir Jocks Ansichten darüber auseinander setzte, welch vorteilhafte Auswirkungen die galoppierende Inflation Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre für Kreditnehmer gehabt hatte und wie Unternehmer dank der Thatcher-Revolution die Freiheit gewonnen hatten, mit anderer Leute Geld Roulette zu spielen. Ich hatte, schon als wir noch in London lebten, nicht viel von Jock gehalten und sah nach dem, was ich im Lauf der Jahre von Sam über ihn hörte, keinen Grund, meine Meinung über ihn zu ändern. Die beiden verband eine Konkurrenzbeziehung, die auf großsprecherischer Selbstdarstellung Jocks auf der einen Seite und absurden Retourkutschen Sams, die jeder halbwegs intelligente Mensch sofort durchschaut hätte, auf der anderen Seite beruhte.
    Ich riss mich aus meinen Gedanken, als Sam schwieg. »Jock Williams hat immer schon gelogen, wenn es um Geld ging«, sagte ich. »Bei unserer ersten Begegnung damals im Pub hat er sich doch einzig an uns rangeschmissen, damit wir ihm seine Drinks bezahlen, weil er angeblich seine Brieftasche zu Hause vergessen hatte. Ich weiß noch genau, dass er sagte, er würde uns das Geld wiedergeben, aber getan hat er's nie. Ich habe ihm damals nicht geglaubt, und ich glaube ihm jetzt nicht. Wenn er zehn Millionen schwer ist«– ich lachte –»dann habe ich den Körper einer Zwanzigjährigen.«
    Ich wollte Sam damit ein wenig trösten, aber das konnte er nicht erkennen, weil ihm nie in den Sinn gekommen wäre, dass ich mehr über Jock wissen könnte als er. Wie denn auch? Jock und ich hatten seit dem Tag, an dem Sam und ich aus London weggegangen waren, keinen Kontakt mehr gehabt. Dennoch kannte ich Jocks finanzielle Situation ganz genau und wusste, dass es wahrscheinlich einzig Jock selbst um den Schlaf bringen würde, wenn seine Lügenmärchen schließlich aufflogen.
    Sams Stimmung hellte sich ein wenig auf. »Na, hör mal«, sagte er, »so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Der Po ist ein bisschen in die Breite gegangen, das ist wahr, aber der Busen hat sich gut gehalten.«
    Ich gab ihm einen liebevollen Klaps auf den Hinterkopf. »Wenigstens gehen mir die Haare nicht aus.«
Polizeiliche Zeugenaussage
    Datum: 16. 11. 78
    Zeit: 18.27
    Beamter: P. C. Quentin, Polizei Richmond
    Zeuge: Sam Ranelagh, 5 Graham Road, Richmond, Surrey
    Vorfall: Tod von Miss A. Butts in der Graham Road am 14.11.78

    Am Dienstag, dem 14.11.78, erreichte ich gegen 19.30 Uhr den Bahnhof in Richmond. Mein Freund Jock Williams, der in der Graham Road 21 wohnt, war im selben Zug gewesen und holte mich ein, als ich durch die Sperre ging. Es regnete stark, und Jock schlug vor, auf ein Bier noch im The Hoop and Grapes in der Kew Road vorbeizuschauen. Ich war müde und lud ihn stattdessen zu mir nach Hause ein. Meine Frau, von Beruf Lehrerin, war auf einem Elternabend, und ich erwartete sie nicht vor 21.30 Uhr zurück. Zu Fuß an der A 316 entlang braucht man etwa 15 Minuten, und Jock und ich bogen gegen 19.45 Uhr in die Graham Road ein.
    Ich wohne seit zwei Jahren in der Graham Road und kannte Ann Butts vom Sehen. Im vergangenen halben Jahr habe ich ein paarmal bemerkt, wie sie vor unserem Haus stand und durch die Fenster spähte. Ich habe keine Ahnung, warum sie das tat, glaube aber, dass sie meine Frau einschüchtern wollte, die von ihr einmal als »honky« beschimpft worden war. Wegen des schlechten Wetters war ich überrascht, sie am Dienstagabend (14.11.78) wieder dort zu sehen. Sie ging weiter, als wir um die Ecke kamen. Sie war offensichtlich betrunken, und als ich Jock auf sie aufmerksam machte,

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