Schlangenlinien
ausdenken muss. »Falls jemand fragt, ich war bei dir. Lass mich nicht hängen, in Ordnung?« So ähnlich wird's gelaufen sein.
Mittlerweile zweifle ich daran, dass Jock wieder gespielt hat, ganz gleich, was er Sam erzählt hat. Er hatte ein Flittchen in der Graham Road, so einen platinblonden Vampir namens Sharon Percy, kaum besser als eine Nutte. Er behauptet, er hatte eine Affäre mit ihr gehabt, aber mein Anwalt zwang ihn, seine Bankunterlagen offen zu legen, und wie es aussieht, hat er sie regelmäßig jeden Dienstag für ihre Dienste bezahlt. Die Zahlungen streitet er im Moment noch ab (nicht aber die Affäre – auf die scheint er ziemlich stolz zu sein!), aber mein Anwalt ist zuversichtlich, dass wir die Wahrheit aus ihm herauspressen können, falls er sich weigert, einer vernünftigen Einigung zuzustimmen, und wir vor Gericht gehen müssen.
Wie auch immer, der springende Punkt ist, Annie ist an einem Dienstag gestorben, und ich vermute, Jock hat nicht gespielt, sondern Sharon gebumst! Es könnte das erste Mal gewesen sein, später hat er sich nämlich nie mehr die Mühe gemacht, seine dienstäglichen Verspätungen zu erklären. So wenig wie die an allen anderen Tagen. Du hast Recht. Ich bin froh, bald geschieden zu sein, und ich bin fest entschlossen, ihn bis aufs Hemd auszunehmen, wenn ich kann. Er gibt nur dann Einblick in seine Finanzen, wenn mein Anwalt ihm die Daumenschrauben anlegt, und weiß der Himmel, wie er sich das neue Haus in der Alveston Road (sehr protzig, 70000 Pfund, 7 Zimmer, einen Katzensprung vom Richmond Park, blonder Bimbo inklusive!) leisten kann. Er jedenfalls erklärt es damit, dass es eine »langfristige, hoch belastete Investition« sei. Und das alles mit den armseligen 10000 Pfund, die ihm aus dem Verkauf unseres Hauses in der Graham Road zustanden! Da fragt man sich doch, wie das geht! Ich konnte mir von dem Geld nicht mehr leisten als ein Zwei-Zimmer-Apartment in Southampton.
Wenn du Hilfe brauchst, bin ich immer für dich da. Das weißt du hoffentlich! Warum sollten wir eigentlich nicht über Annie reden? Es käme mir nie in den Sinn, dass dieses Thema zu plötzlichem »Vapeurs« führen könnte. Wie kommt Sam auf so einen altmodischen Ausdruck? Ich kenne keine Frau, die für solchen Quatsch zu haben ist, und die Frauen früher waren es wahrscheinlich auch nicht. Das war wieder mal so eine Erfindung der Männer, um den Vormarsch der weiblichen Souveränität zu stoppen. Stimmt, ich bin verbittert. Meinetwegen kann das gesamte männliche Geschlecht zum Teufel gehen! Ich hab mir eine Scheibe von dir abgeschnitten und bin nach Southampton gezogen, um mein Pädagogikstudium zu Ende zu bringen. Mann, Mädchen, wenn du damit Geld verdienen kannst, die Chinesen in Hongkong zu unterrichten, schaff ich das ja wohl auch mit den Gören hier!
Alles Liebe,
Libby
P. S. Aus völlig eigennützigen Gründen bin ich froh darüber, dass es dir lieber ist, wenn Sam und Jock nichts davon erfahren, dass du Fragen stellst! Mein Anwalt hat mir geraten, über alles, was ich bereits über seine Machenschaften weiß, den Mund zu halten, da er sonst sein Geld auf Geheimkonten verschwinden lässt und ich nie meinen rechtmäßigen Anteil erhalten werde.
3
»Es ist damals schnell Gras über die Geschichte gewachsen«, sagte Sheila Arnold, als wir die Treppe hinuntergingen. »Nur Annies Haus stand ungefähr drei Jahre leer. Sie hatte kein Testament hinterlassen, und niemand wusste, ob noch Angehörige existierten. Am Ende fiel alles an den Staat, und das Grundstück wurde zum Verkauf freigegeben. Ein Bauunternehmer hat das Haus erworben und von oben bis unten renoviert, bevor er es an ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern weiterverkaufte.«
»Weiße vermutlich?«, sagte ich mit kaum verhülltem Sarkasmus.
Sie überging die Bemerkung, verzog allerdings den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Ich machte dort einen Hausbesuch, kurz nachdem das junge Paar eingezogen war«, fuhr sie fort. »Eines der Kinder war krank. Das Haus war nicht wiederzuerkennen. Der Baumensch hatte im Erdgeschoss sämtliche Wände herausgebrochen und einen einzigen großen Raum mit Flügeltüren zum Garten daraus gemacht.« Ihr Ton verriet gewisse Vorbehalte.
»Hat es Ihnen nicht gefallen?«, fragte ich.
Sie blieb an der Tür stehen. »Doch, doch, es war sehr elegant, aber ich musste immer daran denken, wie es früher war, zu Annies Zeiten. Waren Sie mal drinnen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Es war die reinste
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