SCHLANGENWALD
auf der Karibikinsel Antigua. Das Buch hatte eine besondere Bedeutung für Paula: Sie hatte die Autorin bei einer Lesung in Wien persönlich kennengelernt und anschließend einen feuchtfröhlichen Abend mit ihr verbracht. Eine reizende Person, obwohl sie vierzig Menschen auf dem Gewissen hatte. Fiktiv, versteht sich.
Emilio, der Wirt, winkte ihr freundlich zu, als er sie kommen sah. Auf der Terrasse waren noch drei weitere Tische besetzt. Alle nickten zum Gruß. Jeder in der Anlage kannte mittlerweile die Österreicherin, hatte Ricarda ihr anvertraut.
„Manuel, deine Frau!“, ertönte die Stimme des Wirtes. Einer der Männer erhob sich unter dem Gelächter seiner Kollegen. An seinem Muttermal erkannte Paula, dass er es gewesen war, der sie vor der verschlossenen Tür hatte stehen lassen.
Sie versuchte, sich auf das Buch zu konzentrieren, aber nun las sie bereits zum dritten Mal denselben Satz. Lärm und Gelächter um sie herum rissen sie immer wieder heraus. Im Moment war es sinnvoller, die Menschen zu beobachten, einzelne Wortfetzen wie Puzzleteile zu einem sinnvollen Kontext zusammenzufügen.
Der Wirt stellte Paula ein Glas Cola auf den Tisch.
„Diese Burschen machen immer so viel Lärm“, entschuldigte er sich für den Aufruhr. „Manuel ist frisch verheiratet und seine Frau ruft ihn oft zweimal täglich an. Sie kann es nicht erwarten, dass er nach Hause kommt.“
Er grinste zweideutig.
„Es gibt hier ein Telefon?“
An diese Möglichkeit hatte Paula noch nicht gedacht.
„Ja, natürlich. Möchten Sie auch Ihren Mann anrufen?“
Emilio grinste erneut. Er war ein sympathischer Kerl, aber einfach gestrickt. Eine junge Frau wie Paula lebte nicht allein. Basta. Was wäre das auch für ein Leben, wenn sie keinen Mann an ihrer Seite hätte, der sie beschützte und ihr jeden Wunsch von den Augen ablas? Von wegen …
„Das ist eine großartige Idee! Mein Mann wird überglücklich sein“, bestätigte Paula und fand, dass sie nicht einmal log. Blanco war im Moment ihr Mann, den sie dringend sprechen wollte.
Sie kramte seine Nummer hervor.
„Möchten Sie gleich telefonieren?“, fragte Emilio. „Jetzt ist die cabina gerade frei.“
Grinsend sah er zu Manuel.
„Ja, ja, diese erste Zeit nach der Hochzeit ist wunderbar. Da möchte man am liebsten überhaupt nicht zur Arbeit gehen“, schwärmte er in Gedanken an für ihn längst vergangene Zeiten. Paula folgte ihm zum Telefon, das sich in einer kleinen Kabine befand. So etwas hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Aufgeregt wählte sie Blancos Nummer. Es klickte einige Male in der Leitung, bis sie das Freizeichen hörte. Kurz darauf meldete sich eine männliche Stimme.
„ Correo de Santa Cruz. “
„Guten Abend, kann ich bitte mit Señor Blanco sprechen?“
„Am Apparat, was kann ich für Sie tun?“
Paula war erleichtert. Vor einer halben Stunde hatte sie sich noch den Kopf zerbrochen, wie sie Blanco kontaktieren könnte, und nun war er am anderen Ende der Leitung.
„Hallo, hier spricht Paula Ender, wir saßen beim Abendessen in Tico World nebeneinander und Sie gaben mir Ihre Visitenkarte.“
„Ja, ich weiß schon. Was kann ich für Sie tun?“
Juan Blancos Stimme klang nüchtern.
„Ich würde mich gern mit Ihnen treffen. Hätten Sie morgen Zeit?“
„Ich bin morgen den ganzen Tag in meiner Redaktion. Wenn Sie möchten, kommen Sie vorbei.“
Paula bat ihn um die Adresse und fragte ihn nach einer günstigen Verkehrsverbindung.
„Es gibt einen Bus ab Tamarindo nach Santa Cruz um neun Uhr. Ich glaube, bei der Anlage fahren in der Früh zwei Busse vorbei, die nach Tamarindo fahren. Aber die exakten Abfahrtszeiten weiß ich nicht. Sie könnten auch mit einem Taxi fahren. Ich gebe Ihnen die Nummer eines befreundeten Fahrers.“
„Nein, ich möchte nicht, dass jemand von meinem Besuch bei Ihnen erfährt. Wenn Sie bitte so freundlich wären, es für sich zu behalten.“
Blanco räusperte sich. „Sicher.“
„Bis morgen.“
Paula notierte sich alle Infos, die Blanco ihr gegeben hatte, auf einer Serviette. Als sie die Telefonkabine verließ, stand Ricarda vor ihr. Wie lange mochte sie schon vor der cabina gestanden sein? Ob sie etwas von dem Gespräch mitbekommen hatte? Paula bemühte sich, die Serviette unauffällig in der Hosentasche verschwinden zu lassen. Warum nur stellte sie sich so lächerlich an?
3.
„Hallo, da bist du ja. Kandin hat mich gebeten, mich während seiner Abwesenheit um dich zu kümmern. Er
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