SCHLANGENWALD
meinte, du möchtest dir am Wochenende vielleicht die Gegend ansehen.“
„Am Wochenende würde ich gern einen Ausflug machen. Aber morgen möchte ich lieber an den Konzepten weiterarbeiten.“
Wie sagte ihr Vater so schön? Du sollst nicht lügen, aber du musst auch nicht alles erzählen. Zum Beispiel, dass sie während der Busfahrt nach Santa Cruz über allfällige Entwürfe nachdenken würde. Ricarda war ihr sehr sympathisch und sie war gern mit ihr zusammen, weil sie so viel Interessantes über Costa Rica zu erzählen wusste. Aber noch hatte sie die Beziehung zwischen Kandin und Ricarda nicht ganz durchschaut. Solange dies nicht der Fall war, blieb Paula lieber vorsichtig.
„Finde ich dich dann in Kandins Büro?“
„Ich weiß noch nicht. Vielleicht schnappe ich meinen Laptop und setze mich unter eine Palme.“ Auch das war nicht gelogen. Sicher gab es auch in Santa Cruz Palmen.
„Wo auch immer. Ich finde dich schon! In meinen Adern fließt Indianerblut und ich bin eine gute Spurenleserin.“
Ricarda klopfte Paula auf die Schulter. War sie Freund oder Feind?
„Hast du schon zu Abend gegessen?“
Paula schüttelte den Kopf.
„Dann schlage ich vor, dass wir gemeinsam etwas essen. Außer du hast etwas Besseres vor?“
Paula wollte lieber herausfinden, wann morgen früh ein Bus von der Anlage wegging, oder sich ein Taxi bestellen, damit sie um neun Uhr den Anschlussbus in Tamarindo erwischte.
Sie willigte dennoch ein und leistete Ricarda den ganzen Abend Gesellschaft. Sie würde es auch so schaffen.
Dreizehn
Freitag
1.
Der Wecker riss Paula um fünf Uhr aus dem Schlaf. Sie fühlte sich gerädert, bis sie unter der kalten Dusche stand, die schockartig ihre Lebensgeister weckte. Kurze Zeit später schlich sie im Schutz der Büsche und Bäume in Richtung Ausgang. Sie hatte beschlossen, sich frühmorgens aus der Anlage zu stehlen und ein Stück weiter vorn an der Straße auf den Bus zu warten. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass die Tore noch verschlossen sein könnten. Sie schlich die hohe Mauer entlang, die die Ferienanlage von der Außenwelt abgrenzte. Es gab jedoch keine Möglichkeit, irgendwo darüberzusteigen. Ganz oben ragten scharfe Spitzen von Glasscherben aus dem Beton. Kandin machte es potenziellen Eindringlingen nicht leicht.
Die einzige Möglichkeit, zu entkommen, war, quer durch die Anlage zu gehen und von der Meerseite her zu versuchen hinauszugelangen. Ricarda hatte ihr erzählt, dass sie einmal vor verschlossenen Toren gestanden war. Nachdem es keine Alternative gab, hatte sie sich die weite Strecke entlang der Mauer bis zum Meer durchgekämpft. Dann war sie über den Strand zu Emilios Vista Mar und in die Ferienanlage gelangt. Aber Paula war weder so sportlich noch so naturverbunden wie Ricarda.
Es genügte ihr zu wissen, dass es in dieser Gegend die giftigsten Schlangen der Welt und wunderschöne, aber ebenfalls hochgiftige Frösche gab, die frei herumsprangen. Paula hatte keine Lust, durch das Dickicht zu streifen, in dem sie allerlei Getier vermutete.
Enttäuscht kehrte sie zum Bungalow zurück und warf den Rucksack aufs Bett. Es war kurz vor sechs und sie hatte sich die abenteuerliche Fahrt fest vorgenommen.
Ihr fiel die Telefonnummer des Taxifahrers ein, die Blanco ihr gegeben hatte. Um halb sieben öffnete das Vista Mar , also konnte sie von dort ein Taxi rufen. Aber bis dieses hier ankam, würde in der Anlage bereits reger Betrieb herrschen und ihr Ausflug bliebe nicht unentdeckt. Außerdem war es fraglich, ob sie dann den Anschlussbus in Tamarindo noch erreichen würde.
Kurzerhand beschloss Paula, nochmals zum Eingangstor zurückzugehen. Demnächst mussten die ersten Arbeiter eintreffen. Sie versteckte sich hinter einer Hecke und wartete. Von irgendwoher drangen Geräusche an ihr Ohr. Es klang wie Maschinenlärm. Aber Paula blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick hörte sie das Brummen eines Motors. Kurz darauf klirrten Schlüssel und die großen Torflügel öffneten sich.
Zwei schlammverkrustete Jeeps fuhren den Tico World Boulevard entlang in Richtung Hauptgebäude. Paula wartete eine Weile, bevor sie aus ihrem Versteck kroch und unbemerkt die Anlage verließ. Sie putzte die kleinen Käfer ab, die Gefallen an ihrer Kleidung gefunden hatten. Auf dem Schotterweg lief sie in Richtung Straßenkreuzung. Keine Minute, nachdem sie diese erreicht hatte, näherte sich ein Bus oder was davon noch übrig war. Es war ein museumsreifes
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