SCHLANGENWALD
die Zimmerdecke und versuchte sich einen Reim auf all diese Vorfälle zu machen. Juan Blanco fiel ihr ein und seine Anspielungen auf die Ferienanlage. Vielleicht war es sinnvoll, sich mit ihm zu treffen, wenn er nüchtern war.
Sie erhob sich vom Bett und öffnete die Schublade, in der die Schreibutensilien lagen. Sie war sicher, dass sie die Visitenkartehier hineingelegt hatte, aber sie konnte sie nicht mehr finden. Das war nicht weiter schlimm. Wie von allen Visitenkarten, die sie erhielt, hatte sie auch von dieser die Telefonnummer in ihr kleines rotes Register geschrieben. Sie beschloss, Juan Blanco gleich am nächsten Tag anzurufen.
Zwölf
Donnerstag
1.
„Haben Sie sich gestern Abend im Büro zurechtgefunden?“ Kandin begrüßte Paula freundlich, als er sie im Vista Mar beim Frühstück antraf.
Paula versuchte in seinem Gesicht zu lesen, wie er die Frage gemeint haben könnte. Aber da war nur ein freundliches Lächeln, nichts Verdächtiges zu erkennen.
„Bestens, danke. Nur leider habe ich nicht damit gerechnet, dass Sie alle Unterlagen wegräumen und die Schränke zusperren würden. Ich wollte noch arbeiten, aber alles war abgeschlossen.“ Sollte sich Kandin tatsächlich die Mühe machen, die Aufnahmen anzusehen, war das die optimale Erklärung für ihre Versuche, die Schranktüren zu öffnen.
Kandin setzte sich mit einer Tasse Kaffee zu ihr. Sein unbekümmertes Auftreten passte nicht mit der Überwachungskamera zusammen.
Er gab ihr Bescheid, dass er am Nachmittag nach San José fahren und wahrscheinlich erst Samstagabend zurückkommen würde. „Wenn Sie die Anlage verlassen wollen, sagen Sie bitte immer Ricarda Bescheid, sie wird Sie begleiten. Ich habe ihr den Auftrag gegeben, sich um Sie zu kümmern. Junge Damen sollten in dieser Gegend nicht mutterseelenallein unterwegs sein.“
Als Paula kurz danach ins Büro ging, konnte sie es sich nicht verkneifen sofort nachzusehen, ob die Kamera noch da war. Sie schob das Blätterwerk der Pflanze beiseite, doch der Platz war leer.
Als Kandin ins Büro kam, schrieb sie gerade an einer ausführlichen E-Mail an Kurt und Clea, in der sie ihnen von Kandins Paranoia berichtete.
„Sie sind ja eine eifrige E-Mail-Schreiberin“, lächelte Kandin.
„Es gibt ein Problem mit einem Kunden“, rechtfertigte sich Paula. Warum log sie ihn an? Es war ihr gutes Recht, mit Freunden in Kontakt zu treten. Obwohl sie vermutlich im Erdboden versunken wäre, wenn er ihre Fantastereien zu Gesicht bekommen hätte.
Als Kandin sich am Nachmittag verabschiedete, drückte er Paula eine Liste mit Personen in die Hand, die sie kontaktieren sollte. Der Name Juan Blanco stand nicht darauf. Sollte sie Kandin darauf ansprechen? Vielleicht hatte er vergessen, ihn auf die Liste zu setzen. Gerade von dem Journalisten erwartete sie sich interessante Informationen, die sie gut für die Medienarbeit verwenden konnte. Immerhin war er früher ein Gegner gewesen, der mittlerweile von den positiven Auswirkungen der Ferienanlage überzeugt war. Ihr Bauchgefühl hielt sie jedoch davon ab nachzuhaken.
2.
Paula beschloss dennoch, Juan Blanco zu kontaktieren. Ihr Handy hatte nach wie vor keinen Empfang, seine E-Mail-Adresse hatte sie nicht und vom Büro wollte sie ihn nicht anrufen. Nachdem Kandin das Büro mit einer Kamera überwachen ließ, traute Paula ihm durchaus zu, dass er auch alle Telefongespräche abhörte. Da Blanco nicht auf seiner Liste stand, hätte sie Erklärungsnotstand gehabt. Paula, du leidest unter Paranoia, schalt sie sich. Warum nur hatte sie immer den Hang, ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen? Wenn Kandin nicht wollte, dass sie den Zeitungsherausgeber kontaktierte, dann basta. Aber Paulas Interesse war wie zumeist größer als ihre Vernunft.
Sie konnte natürlich auf gut Glück nach Santa Cruz fahren, aber sie hatte in ihrem Register nur Blancos Telefonnummer, nicht dessen Adresse notiert und konnte sich nur vage an einzelne Wortteile erinnern. Natürlich konnte sie versuchen, sich zu der Redaktion durchzufragen. Doch wie hieß diese eigentlich? Es fiel ihr nicht ein. Entweder verblödete sie zunehmend oder der Alkohol hatte eine nachhaltige Wirkung. Sosehr Paula nach einer Lösung suchte, ihr wollte keine einfallen. In solchen Momenten war es am besten, mit dem Grübeln aufzuhören und etwas völlig anderes zu unternehmen. Sie beschloss, mit einem spannenden Buch auf ein Getränk ins Vista Mar zu gehen. Der Thriller spielte unweit von Costa Rica
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