Schlechte Gesellschaft
sie mehr über das Vahlen-Projekt erfahren.
»Herr Professor, meine GroÃmutter ist sehr unglücklich. Sie befürchtet, Sie könnten meine Mutter und Andreas Wieland in ihren Plänen unterstützen, das Manuskript meines GroÃvaters zu veröffentlichen.«
Kittel nickte. Die Witwe hatte also ihre Enkelin zu ihm geschickt.
Alexia war in den Raum getreten, hatte sich, während sie sprach, auf den Stuhl gegenüber gesetzt und schlug nun die langen Beine übereinander.
»Ich habe hier Briefe an meinen GroÃvater, die Sie interessieren dürften. Zumindest hat Andreas Wieland Interesse daran.« Sie zog eine blaue Klarsichthülle aus ihrer Tasche, in der ein eng mit Hand beschriebenes Luftpostpapier zuoberst lag. Kittel war sprachlos. Gerade hatte er noch darüber nachgedacht, wie er sich aus seiner Klemme mit Gellmann befreien sollte, da schneite dieses Mädchen herein und legte ihm dessen Briefe auf den Tisch.
»Ich dachte«, sagte Alexia, »wenn ich Ihnen die Briefe bringe, dann geben Sie meiner GroÃmutter das Manuskript zurück.«
Woher wusste das Mädchen, dass er das Manuskript hatte? Mit dem Fuà tastete Kittel nach dem Dokumentenkarton unter seinem Schreibtisch, stieà aber nur gegen den Mülleimer.
In Alexias Blick lag Berechnung und Zuversicht. Mit ihrer gespielten Unschuld vermochte sie Kittel keine Sekunde lang zu täuschen. Die »schwierige Witwe« hätte die Briefe niemals einfach hergegeben, schon gar nicht im Original. Alexia arbeitete auf eigene Rechnung. Sie stellte sich gegen ihre Mutter, genau wie Judith es getan hatte. Wenn Kittel es geschickt anging, könnte er die Situation zu seinen Gunsten entscheiden. Er durfte nur nicht den Kopf verlieren. Er würde Alexia mitsamt den Briefen und dem Manuskript zu ihrer GroÃmutter zurückbringen. SchlieÃlich war er selbst Vater einer gerade erst volljährig gewordenen Tochter. Sicher wäre Hella Vahlen ihm dankbar, dass er sich von den pubertären Alleingängen des Mädchens nicht beeindruckt gezeigt hatte. Wenn überhaupt jemand die Westerwald -Fortsetzung herausgeben würde, dann er.
Wieder schob Kittel seinen Fuà unter den Schreibtisch, und diesmal meinte er, den Karton mit dem Manuskript zu berühren. Alexia war ganz still geblieben, während er nachdachte.
»Ich nehme die Briefe«, sagte er und näherte sich ihr mit ausgestreckter Hand.
»Wo ist das Manuskript?«, fragte sie etwas barsch und erhob sich von ihrem Stuhl.
Kittel versuchte ein Lächeln, das einen scherzhaften Tadel für ihr freches Benehmen andeuten sollte. SchlieÃlich musste er Alexia noch dazu bringen, sich von ihm nach Hause fahren zu lassen. In gespielter Gelassenheit beugte er sich unter den Schreibtisch, um das Manuskript hervorzuziehen. Aber neben dem Mülleimer, an der Stelle, wo er den Karton vermutet hatte, lagen nur zwei Packungen Büropapier, die dort nicht hingehörten.
Kittel ging in die Hocke, um genauer nachzusehen. Aber Alexia musste die Bewegung falsch verstanden haben. Sie stieà einen Schrei aus, so dass Kittel, der nur ihre Beine sah, hochschreckte und sich den Kopf an der Schreibtischplatte stieÃ.
In diesem Moment hörte man ein kurzes Klopfen. Und noch ehe Kittel unter dem Tisch hervorkriechen konnte, um den Eintretenden zu sehen, wusste er, wer es war. Im Gesichtsausdruck des Dekans lag eine gewichtige und völlig humorlose Strenge.
Skyscraper (Mai 1945)
»Die Sonne ist fast untergegangen. Darf ich die Jalousien nun hochziehen, Herr Kind?« Amy Berger trat auf das Fenster zu, aber Kind winkte ab.
»Lassen Sie nur, Fräulein Berger. Ich habe ja die Lampe.« Er drehte sich mit ernstem Gesicht zu ihr um. »Ist der Chef schon gegangen?«
Sie nickte. Sie war nicht ganz sicher, ob seine Frage andeutensollte, dass sie sich nun näher kommen könnten. Sie hätte gerne gesehen, woran Kind arbeitete. Aber wie so oft bei dem jungen Assistenten des Chefs, hatte sie Angst, ihn zu stören.
»Ich wollte ihm das hier zeigen.« Jetzt hob er seinen Entwurf vom Schreibtisch auf, die durchscheinende, mit feinem Bleistiftstrich gezeichnete Skizze eines Wolkenkratzers. Amy ging auf das Bild zu.
»Sie haben höher gebaut.«
»Nur drei Stockwerke.«
Jetzt musste sie lachen. »Der Chef wird auÃer sich sein.«
»Ich weiÃ.« Auch Kind grinste.
Der Chef, mit dem er aus London gekommen war, nannte
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