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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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Handarbeit im Schoß, oder sie rupfte unter dem Vordach ein Huhn für den Abend.
    Und doch wäre Hermann nie so weit gegangen, diesen Brief an die Parteigenossen zu schreiben. Wie seine eigene war auch Kehls Familie schon immer da gewesen. Dieses Dasein schuldete sein Amtshelfer niemandem, und er brauchte es vor niemandem zu rechtfertigen. Hermann wäre es nicht in den Sinn gekommen, Kehls Existenz in Frage zu stellen, wenn er nicht hätte fürchten müssen, dass dieser Mann ihm früher oder später damit zuvor kommen würde.
    Albert Kehl, der unangenehmste und unberechenbarste seiner Männer, war bereit, jederzeit über den von Partei und Führer verlangten Gehorsam hinauszugehen. Genau aus diesem Grund hatte Hermann ihn eingestellt. Das war zu einer Zeit voller Erregung und Aufbruch gewesen, die Hermann nun so lange vergangen schien, dass er manchmal meinte, es habe sie nie gegeben.
    Bis tief in die Nacht waren die Jugendbanden singend und grölend durch die Straßen gezogen. Mehrmals täglich marschierten die Formierungen der Verbände und Vereine über den Marktplatz. Die Prügeleien zwischen den Sozis aus den Arbeitersiedlungen von Arlich und den Nazis aus dem Unterdorf weiteten sich zu einer Art rohem Bürgerkrieg aus. Dann war plötzlich wieder Ruhe in Sehlscheid eingekehrt. Eine heimtückische Stille hatte sich breitgemacht.Und vielleicht, dachte Hermann im Nachhinein, war ihm deshalb das Brüllen hinterher so laut erschienen.
    Kehl hatte als einer der ersten in Sehlscheid die Parteiuniform getragen. Die hohen Stiefel, das gebügelte Braunhemd und das funkelnde Abzeichen wirkten an ihm wie eine Verkleidung. Doch wenn er nach Feierabend, zwei geduckt laufende Schäferhunde bei Fuß, seine Hitlerjungen in die Wälder führte, lachte niemand über ihn. Und die Kinder, die ihm folgten, waren mit den Jahren zu einem elternlosen, unbändigen Haufen herangewachsen, den die Witwe Kläre am Abendbrottisch schon mal »Kehls Ratten« geschimpft hatte.
    Kehl musste den Juden Wolf bei einem seiner Märsche im Wald aufgegriffen haben, zwei Tage nachdem Hermann ihn bei der Teufelsstiege hatte laufen lassen.
    Â»Ist denen in Koblenz wohl weggelaufen«, rief er schon in der Eingangshalle der Parteistube. »Hat wohl noch nicht genug von uns.«
    Den Juden am Mantel hinter sich herzerrend kam Kehl die Treppe heraufgepoltert. Beim Sprechen spuckte er, sein Gesicht war vor Eifer gerötet, und Hermann hatte gleich befürchtet, er könnte etwas von dem Handel mit Wolf erfahren haben. Hermann befahl ihm, den Schreiber Rössel zu holen, und sofort verließ sein Amtshelfer die Stube.
    Wolf stand mit hängendem Kopf vor dem Schreibtisch. Ein Geruch nach Urin breitete sich um ihn aus. Er hatte sich in den Schiefermienen verstecken sollen, wo das Gestein senkrecht aufgeworfen war und die Stollen kilometerweit in den Hang reichten. Schon immer hatten sich die Bewohner von Sehlscheid dorthin geflüchtet, wenn Gefahr drohte. Aber vor den Hunden war auch dieses Versteck nicht sicher. Was hatten Kehl und seine Jungen mit ihm gemacht? Der Jude wirkte erschöpft, schien sich kaum aufrecht halten zu können. Seine Haut sah grau aus, wie eingefallen. Dem Tod nahe, dachte Hermann mit Unbehagen.
    Â»Wolf?«
    Er blickte nicht auf.
    Â»Wolf!«
    Ein Zittern überkam den Körper des Alten, so dass Hermann einen Schritt zurücktrat. Erst als er ihn fragte, ob er seinen Teil der Abmachung eingehalten habe, fixierte Wolf ihn aus undeutlich gewordenen Augen. Hermann wandte sich ab, um diesem Blick nicht länger standhalten zu müssen. Doch da drehte sich der Alte plötzlich um und rannte zur Tür. Hermann griff nach ihm, aber der Ärmel, den er zu fassen bekam, entglitt ihm wieder. Ohne innezuhalten, als habe er nur auf diesen Augenblick gewartet, stürzte sich der Jude über die hölzerne Balustrade hinab in die Eingangshalle. Hermann hörte einen dumpfen Aufprall.
    Er trat an das Geländer. Zwei Stockwerke tiefer lag Wolf auf den Steinfliesen. Sofort war ein Scharren zu hören, und Hermann sah mehrere von Kehls Jungen, die unten gewartet haben mussten, an den Körper des Juden herantreten. Einer berührte Wolfs Bein mit seiner Schuhspitze. Ein anderer gab ihm einen Tritt in die Seite. Der Alte regte sich nicht mehr. Sein weiter, staubschwarzer Mantel hatte sich um ihn herum gebreitet wie eine Lache.
    Kehl kam mit einem Grinsen

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