Schlechte Gesellschaft
formulierte. Ihm war erst später klar geworden, wie schwierig es für sie gewesen war, dieses Bild aufrechtzuerhalten mit einem Sohn, auf dessen Neurodermitis die Nachbarn mit verstohlenem Ekel reagierten, und einem Mann, der kaum genug verdiente, dass seine Frau zu Hause bleiben konnte.
Wenn Wieland an seine Mutter dachte, dann sah er sie Kleider in die Waschmaschine stopfen oder nasse Laken daraus hervorzerren. Jeden Morgen hatte sie ihn gefragt, ob er Wäsche für sie habe. Wielands Vater hatte die Familie verlassen â wegen einer Fleischfachverkäuferin aus Unna. »Kurz vor dem Ruhestand«, wie seine Mutter betonte, als hätte er nur noch ein paar Wochen durchhalten müssen, und dann wäre alles anders gekommen.
»Schick Maike Blumen«, riet sie ihrem Sohn am Telefon. Wieland hatte versucht abzuwiegeln. Blumen passten wirklich nicht zu Maike. Sie sprach gerne über Gefühle und über modernes Theater. Sie war es, die Wieland überredet hatte, seine Doktorarbeit über Gellmann zu schreiben, anstatt über Kleist, wie es eigentlich geplant war.
»Jede Frau liebt es, Blumen zu bekommen«, sagte seine Mutter.
»Ich würde mir albern dabei vorkommen. Als würde ich ihr hinterherlaufen.« Wieland kam sich schon albern dabei vor, mit seiner Mutter über diese Dinge zu sprechen.
»Willst du sie zurück?«, fragte Gisela.
»Ja.«
»Dann schenk ihr Blumen. Und lass es keine billigen sein. Wenn ihr ein Jahr zusammen seid, schenkst du ihr einen Ring.«
Ãber die Sache mit dem Ring musste Wieland lachen. Auchwenn er durchaus die Bestimmtheit bemerkt hatte, mit der seine Mutter ihm Anweisungen gab.
Maike war tatsächlich zu ihm zurückgekommen. Schon bald schien wieder alles wie vorher. Und dann zog Wieland aus. Plötzlich war ihm alles zu viel geworden. Ihre Wäscheberge im Schlafzimmer, die halbleeren Joghurtbecher im Kühlschrank, das ständig plärrende Küchenradio. Er trennte sich von Maike und fühlte sich noch im selben Augenblick stark und frei. Aber den Tipp von seiner Mutter hatte er nicht vergessen.
Hinter dem Brunnenplatz unweit des Kirchhügels fand er das Geschäft des Floristen. Im Schaufenster hingen Trauerkränze. Eine dickliche Frau war hinter der Theke mit einem Gesteck beschäftigt. Wieland lieà drei SträuÃe binden, helle Rosen für die Kleine, einen Frühlingsstrauà mit duftenden Hyazinthen für die Tochter, und einen aus orangefarbenen Gerbera und Lilien für die Witwe.
»Sagen Sie, ich meine es hier beim letzten Mal mit einem Herrn zu tun gehabt zu haben?«, fragte Wieland beim Zahlen. Er hatte gehofft, den hilfreichen Floristen ein wenig ausfragen zu können.
»Das war mein Vater. Er ist vor kurzem verstorben«, sagte die Frau.
»Entschuldigen Sie. Das tut mir leid â¦Â« Wieland wunderte sich, wie sehr ihn die Nachricht erschrak.
Die Frau winkte ab. »Sie sind ja nicht von hier.«
»Dürfte ich Sie trotzdem noch etwas fragen?« Er beugte sich zu der Floristin über die Theke. »Kennen Sie die Vahlens ein wenig? Ich möchte sicher gehen, dass ich kein Familienmitglied vergessen habe.«
»Haben Sie nicht.« Die Frau grinste nun wieder.
»Wissen Sie das genau?«
»Weià ich. Meine Schwägerin hat dort geputzt.«
»Ach.« Wieland tat erstaunt. »Wissen Sie vielleicht auch, wie lange die Tochter nun schon nicht mehr mit ihrem Mann zusammenlebt?«
»Judith? Ich weià gar nicht, ob die je zusammengewohnt haben.Der war ihr wohl nicht gut genug. So war die schon immer. Ich bin mit ihr zur Schule gegangen.«
Wieland musterte die dicke, unscheinbare Frau, die bereits erste graue Haare hatte. »Dann ist die Tochter also gar nicht von ihm?«
»Doch, doch, die wird schon von dem Gellmann sein, die Alexia. Zumindest trägt sie seinen Namen. Und man hat ihn am Anfang auch öfter mit der Kleinen gesehen. Ein liebes Mädchen war das. Jetzt ist sie schon so groÃ. Zu traurig, dass sie sie auf ein Internat schicken. Und dann so weit weg.«
»Ja, das ist traurig«, pflichtete ihr Wieland schnell bei, um dann weiter zu fragen. »Es ist mir zwar unangenehm, aber vielleicht können Sie mir sagen, wie das Unglück mit Judiths Hand passiert ist?«
»Das war schon immer so. Da gewöhnt man sich dran. In der Schule hat sie sich trotzdem mit den anderen gekloppt.«
»Wer kümmert sich denn
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