Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
Vom Netzwerk:
gewirkt, wenn sie aus der Stube der Witwe heraustraten.
    Als dann auch noch die jungen Männer von Sehlscheid auf ihremnächtlichen Weg vom Gasthaus vor ihrer Tür zu lärmen begannen, und als der alte Brink der mageren Witwe auf dem Schlachtfest in aller Öffentlichkeit eine frischgestopfte Mettwurst zusteckte, war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Die Frauen von Sehlscheid waren sich einig, dass die Vahlen zumindest eine Mitschuld am schlimmen Ende ihrer Ehe traf. Und spätestens jetzt konnte man sich vorstellen, worin diese Schuld bestanden haben könnte. Man beschloss, dass Irma eine Gefahr für den Dorffrieden darstellte.
    Keine zwei Tage nach dem Vorfall auf dem Schlachtfest bat der Pfarrer die Witwe höflich, die Räume der Kirche zu verlassen, da diese für die Treffen der Jungmädchengruppe des vaterländischen Vereins benötigt würden. Irma zog zurück in das Lehmhaus ihrer Familie, zu ihrem aufgedunsenen Vater, der sich kaum noch von seinem Lager erheben konnte, zu ihrer älteren Schwester und den zwei schwachsinnigen Nichten. Es hieß, der Lehrer Schütz beknie sie noch immer, bei ihm einzuziehen. Inzwischen schüttelten selbst die Männer im Dorf den Kopf über seine Gutmütigkeit. Und dann sahen die älteren unter den Sehlscheiderinnen bereits, dass die Witwe schwanger war. Je runder ihr Bauch wurde, desto mehr beruhigten sich die Dorffrauen. Und auch Irma Vahlen selbst wirkte nicht mehr so leidvoll und zerbrechlich, als sie im kalten Januar 1875 einen gesunden, wenn auch schmächtigen Sohn zur Welt brachte.
Eloxal (August 1968)
    Irgendwo zwischen Kraftsolms und Grävenwiesbach wurden sie Freunde. Hella hatte nicht allein beim Wagen zurückbleiben wollen, und Vahlen hatte sie nicht mit Gellmann gehen lassen, und schließlich hatten sie sich alle zusammen auf den Weg gemacht, um Hilfe zu holen.
    Ihre Füße schmerzten schon nach wenigen Kilometern. Gellmann versuchte es mit Autostop, aber die Fahrer antworteten nurmit wütendem Hupen. Auch die wenigen Menschen, die ihnen auf Fahrrädern entgegenkamen, mit ihren verbeult wirkenden, misstrauischen Gesichtern, waren nicht bereit, den Fremden zu helfen. Als sie am späten Nachmittag endlich in Kröffelbach ankamen, schickte man sie gleich weiter in das fünf Kilometer entfernte Grävenwiesbach, wo es eine Autowerkstatt geben sollte.
    Â»Ich habe gleich gesagt, wir dürfen nicht die Landstraße nehmen.« Es war das erste Mal, dass Hella seit der Panne das Wort an Vahlen richtete.
    Â»Soweit ich weiß, hast du nicht einmal den Führerschein«, antwortete der.
    Â»Du doch auch nicht.«
    Â»Deshalb fahre ich Landstraße.«
    Einige Schritte lang sagte keiner etwas. Bis Gellmann es nicht mehr aushielt: »Seht es mal so. Wer über die Landstraße fährt, fällt nicht auf. Und wer über die Landstraße geht, der kann sowieso alles tun, was ihm Freude macht.« Die beiden zuckten nur müde mit den Schultern.
    Gellmann zog eine Flasche russischen Wodka aus der Manteltasche. »Warum trinken wir nicht erst mal einen. Dann läuft es sich besser.« Jetzt sahen Vahlen und Hella ihn dankbar an.
    Gellmann wusste nicht mehr, wer eigentlich mit dem Singen angefangen hatte. Aber bei »Marmor, Stein und Eisen bricht« grölten Vahlen und er bereits in brüderlicher Vertrautheit über die dämmrige Hügellandschaft. Auch Hella schien das Laufen wieder leichter zu fallen. Sie hatte sich zwischen den beiden Männern eingehakt.
    Bald konnte Gellmann kaum noch die Straßenränder erkennen. Er versuchte sich zu konzentrieren. Bei jedem vorbeisausenden Wagen sprangen sie kreischend in die Böschung, als müssten sie sich retten. Schließlich fielen sie sich albern lachend in die Arme.
    Dann wurde es kalt, die Flasche war leer, und die ersten Lichter von Grävenwiesbach wurden sichtbar. Vahlen begann zu reden: Nur der Augenblick zähle. So einer wie dieser hier. Drei Menschen, die Arm in Arm eine Straße entlanglaufen.
    Â»Weine nicht, wenn der Regen kommt, dam dam, dam dam. Es gibt einen, der zu dir hält, dam dam, dam dam.«
    Auch bei Gellmann löste das Gehen unter dem klaren Sternenhimmel ein Gefühl von Bedeutsamkeit aus. Er spürte Hellas Arm an seiner Jacke. Vahlens Stimme hatte etwas Festes, Verlässliches. Vielleicht war er doch ganz in Ordnung, dachte Gellmann. Vielleicht war er gar kein solcher

Weitere Kostenlose Bücher