Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Ende.
    Erst in seiner Heimatstadt Budapest bekam er eine Professur, praktizierte von nun an dort und schrieb 1861 sein Buch Ätiologie, Begriff und Prophylaxis des Kindbettfiebers . Doch immer noch weigerten sich die Universitäten, ihren Studenten die lebensrettendeVorschrift zum Händewaschen zu erteilen. Ignaz Semmelweis nannte angesichts der tödlichen Ignoranz die Dinge beim Namen und drohte angesehenen Kollegen. In einem Brief an denWürzburger Professor FriedrichWilhelm von Scanzoni schrieb er 1861: » Sollten Sie aber, Herr Hofrat, ohne meine Lehre widerlegt zu haben, fortfahren, Ihre Schüler und Schülerinnen in der Lehre des epidemischen Kindbettfiebers zu erziehen, so erkläre ich Sie vor Gott und derWelt für einen Mörder. «
    Semmelweis wurde 1865 ohne Diagnose in eine psychiatrische Klinik beiWien zwangseingewiesen, einem damals rechtsfreien Raum. Dort starb er nach nur 2 Wochen infolge eines angeblich tätlichen Angriffs auf das Personal. Obwohl wenig später Bakterien als Krankheitsverursacher durch Louis Pasteur und Robert Koch entdeckt und identifiziert waren, dauerte es weitere 20Jahre, bis Semmelweis’ Arbeiten in einem medizinischen Buch erstmalig gewürdigt wurden und die Asepsis in den Operationssälen endlich Standard war. Bis heute spricht man übrigens vom » Semmelweis-Reflex « , wenn eine wissenschaftliche Erkenntnis, ohne überprüft zu werden, reflexartig abgelehnt und ihr Entdecker in Fachkreisen ignoriert wird.
    Auch in der jüngeren Medizin gibt es viele Beispiele für falscheTherapien, die lange Zeit unbeirrt fortgeführt wurden. So wurden Neugeborene in den geburtshilflichen Krankenhäusern von 1960 an stets zum Schlafen auf den Bauch gelegt, entgegen allerTradition, nur weil ein neues Lehrbuch dies so empfahl. In der Folge starben sehr viele Kinder am plötzlichen Kindstod. Als Mitte der 1980er Jahre Neugeborene endlich wieder wie vor 1960 auf dem Rücken schlafen durften, gingen dieTodesfälle merklich zurück.
    Ein aktuelles Beispiel betrifft die Praxis der Hormontherapie für Frauen in denWechseljahren. Hormonersatzpräparate sind für Frauen, die während derWechseljahre unter extremen Hitzewallungen leiden, ein wirkungsvolles Medikament. Doch um den Kundenkreis zu erweitern, wurden dieser an sich vernünftigenTherapie alle möglichen positiven Effekte zugeschrieben: Schutz vor Osteoporose,Verminderung von Herzattacken und Schlaganfällen. Frauen wurden durch die Betonung dieser Risiken geradezu genötigt, ab denWechseljahren dauerhaft Hormonpräparate einzunehmen.Was will man machen, wenn der Arzt es sagt? Millionen von Frauen folgten dem Rat. Doch die angeblichen Beweise durch Studien waren Betrug, die Studien minderwertig und fehlerhaft. Erst 1997 konnten finnische und britische Forscher medizinstatistisch nachweisen, dass das Risiko zum Beispiel für Herzkrankheiten durch die Hormonersatztherapie nicht sinkt, sondern steigt.Viele Hochschullehrer machten diesen berechtigten Einwand lächerlich, jedoch bestätigten 2 große, regelkonform durchgeführte Studien die finnisch-britischen Ergebnisse. Heute weiß man, dass mit der Hormonersatztherapie sogar die Brustkrebsrate und das Schlaganfallrisiko steigen. Das Risiko, durch Hormontabletten an einer dieser Krankheiten zu sterben, ist statistisch gesehen nicht dramatisch. Da aber Millionen von Frauen die Hormonpräparate verordnet wurden und nicht nur jenen, die tatsächlich starkeWechseljahrsbeschwerden hatten, ist die absolute Zahl der durch die Nebenwirkungen frühzeitig verstorbenen Frauen hoch. Nochmals:Wenn eine Frau starkeWechseljahrsbeschwerden hat, empfehle ich ihr durchaus, eine Hormonersatztherapie auszuprobieren. Das Risiko ist für sie aufgrund ihrer tatsächlichen Beschwerden vertretbar. Frauen ohne Beschwerden jedoch derartigeTabletten zu empfehlen, ist unverantwortlich.
    Tatort Krankenhaus
    Normalerweise können Chirurgen die Ergebnisse ihrer Behandlung sofort beurteilen.Wenn ein Blinddarm akut stark entzündet ist, wird die chirurgische Entfernung diese lebensgefährliche Situation in den Griff bekommen, und der Chirurg weiß eineWoche später, sobald dieWundheilung komplikationslos verlaufen ist, dass er die Operation fachgerecht durchgeführt hat.Anders sieht es aus, wenn er eine Operation nicht aufgrund einer Notfallsituation durchführt, sondern weil sie einen Nutzen für die weitere Zukunft bringen soll. Dann können auch Chirurgen mehr Schaden anrichten, als Menschen zu helfen. Ein bekanntes Beispiel