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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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inzwischen Flammen an den Rändern der Staubwolke aufloderten, und schwarze Rauchspiralen waren zu erkennen, als die Staubwolke herabsank. Und jetzt fingen die Leute an zu schreien.
    Carol war aufgesprungen und schon fast an der Tür. »Ich ruf dich an«, rief sie, riss die Tür auf und rannte los. Tony sah kaum, wie sie den Raum verließ. Er war wie versteinert von der Tragödie, die sich vor seinen Augen auf dem Bildschirm abspielte. Ohne den Blick abzuwenden, griff er nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. Was er da sah, war beinahe unfassbar.
    Bradfield war jetzt Mitglied in jenem exklusiven Club der Twin Towers, von Kuta Beach, Madrid und London. Eine Liste, auf der keine Stadt sich wiederfinden wollte. Aber Bradfield gehörte nun dazu.
    Und es würde viel Arbeit geben.

    Tom Cross hatte den größten Teil seiner Polizeidienstjahre im Schatten des irisch-republikanischen Terrorismus verbracht. Zwölf Tote beim Bombenanschlag auf einen Bus auf der M62, zwei Kinder hatte es mitten in der Stadt in Warrington zerrissen, in Manchester über zweihundert Verletzte und ein Stadtzentrum verwüstet. Er und seine Kollegen hatten gelernt, wachsam zu sein, aber man hatte ihnen auch beigebracht, was von ihnen erwartet wurde.
    Also war Cross’ erster Impuls bei der Explosion der Bombe im Victoria-Park-Stadion, auf den Explosionsherd zuzulaufen. Die anderen 9346 Zuschauer auf der Vestey-Tribüne reagierten anders. Eine Menschenwoge brandete auf die Gänge und Ausgänge zu, und Cross, der sechzehn Reihen unterhalb der VIP-Logen gesessen hatte, hielt sich geduckt an der Lehne seines Sitzes fest und ließ alle über sich hinwegstürmen.
    Als der Druck der Körper um ihn herum nachließ, hangelte er sich, eine Hand über die andere setzend, bis zur Mitte der Reihe durch, wo keine Leute mehr waren. Er fing an, so schnell wie möglich nach oben zu klettern, und wünschte, er hätte nicht so viel von dem köstlichen Lammeintopf gegessen, den Jake Andrews zum Lunch serviert hatte. Sein Magen war aufgedunsen, gereizt und aufgebläht wie eine Trommel, deren Inhalt wie Regenwasser in einem weggeworfenen Autoreifen herumschwappte. Scheiße , dachte er, als er sich nach oben weiterkämpfte. Überall Leichen, und ihm machte sein Magen Kopfzerbrechen.
    Als Cross näher kam, konnte er durch Staub und Rauch bis zu dem Loch in der Tribüne sehen. Zertrümmerter Beton und verbogene Metallteile ragten in die Luft, als hätte sich eine riesige Faust nach außen durchgebohrt. Körper in grotesken Positionen lagen zwischen den Trümmern, die meisten offensichtlich tot, vielen fehlten Gliedmaßen. Neben einem schrecklich bedrängenden Klingeln in seinen Ohren hörte er das Knistern der Flammen, das Stöhnen der Verletzten und die Lautsprecheransagen an die Menschen, das Stadion ruhig und geordnet zu verlassen. Das Heulen der Martinshörner kam aus der Ferne näher. Er roch Blut, Rauch und Exkremente, die er fast auf der Zunge schmecken konnte. Ein wahres Blutbad war es, was er da roch und schmeckte.
    Die erste noch atmende Person, auf die er stieß, war eine Frau, deren Haar und Haut der Staub grau gefärbt hatte. Ihr linkes Bein war unterhalb des Knies zerschmettert, und Blut floss pulsierend aus der Wunde. Cross zog den Gürtel aus ihrer Hose und band ihn über ihrem Knie als Stauschlauch um das Bein. Das Blut begann langsamer zu strömen und tröpfelte dann nur noch. Ihre Lider flatterten und schlossen sich wieder. Er kannte natürlich die Regel, Verletzte möglichst nicht wegzutragen, aber das sich schnell ausbreitende Feuer würde sie einholen. Er hatte keine andere Wahl. Cross schob seinen Arm unter die Frau und hob sie, vor Anstrengung stöhnend, hoch. Über Schutt steigend schob er sich langsam voran, bis er zu einem Gang kam. Vorsichtig legte er sie nieder und ging wieder zurück, um weitere Verwundete zu holen. Dabei wurde ihm unklar bewusst, dass sich andere zu ihm gesellten, manche in den signalgelben Jacken der Rettungsdienste.
    Er nahm nicht wahr, wie viel Zeit verging, sondern bemerkte nur Schmutz, Blut, seine Übelkeit, den Schweiß, der ihm übers Gesicht strömte, den Schmerz in seinem Bauch und die Leichen, immer wieder Leichen. Er arbeitete allein oder mit anderen, räumte Schutt weg, machte Mund-zu-Mund-Beatmung, trug Tote fort und versuchte, die Verletzten mit den altvertrauten Lügen zu beruhigen. »Alles wird wieder gut. Sie werden sich erholen. Es kommt schon wieder in Ordnung.« Nichts würde wieder in

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