Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
Ausdruck nie verstanden. Warum würde man eine Wand hochgehen wollen? Und warum sich an einer Wand abquälen, statt aus dem Fenster zu springen oder einen Baum hochzuklettern?« Er hielt schützend die Hände hoch, als Carol mit einer zusammengefalteten Zeitung, die sie sich geschnappt hatte, nach ihm schlug. »Okay, schon gut. Aber du weißt doch, wir haben recht damit, dass Danny mit der Sache in Verbindung steht.«
    »Wie auch immer«, seufzte sie und warf die Zeitung auf den Tisch. »Aber auf jeden Fall weiß ich, dass ich mehr brauchen werde als deine psychologischen Theorien über die Ziele, um jemanden zu überzeugen, dass es nicht um Terrorismus geht.« Sie ging auf die Tür zu. »Ich werd versuchen, später wieder vorbeizukommen. Viel Glück mit der Krankengymnastin.«
    »Danke. Oh, und, Carol, jemand sollte herausfinden, wo Tom Cross zur Schule ging.«

    Gleich nachdem Carol weggegangen war, kam die Krankengymnastin und begrüßte Tony mit einem schlauen Zwinkern. »Sie haben also der Polizei bei ihren Ermittlungen geholfen, was?«, stellte sie verschmitzt fest und reichte ihm seine Krücken. »Ich hoffe, sie hat Sie nicht zu sehr erschöpft.«
    »DCI Jordan hatte gestern im Victoria-Park-Stadion die Leitung«, erklärte er in einem Ton, der jede Diskussion abschnitt. »Ich arbeite mit der Polizei zusammen. Sie kam vorbei, um mir von ein paar Dingen zu berichten. Und sie war so erschöpft, dass sie auf dem Sessel einschlief.« Tony wusste, dass er spitzfindig war, aber er konnte es nicht lassen. Wann immer Carol betroffen war, reagierte er auf persönliche Bemerkungen äußerst empfindlich. Es war egal, ob sie von seiner Mutter gemacht wurden oder von der Krankengymnastin, die er nach seiner Entlassung nie wiedersehen würde. Er fühlte sich immer gedrängt, Missverständnisse aufzuklären. Zumindest was die äußeren Umstände betraf. Der emotionale Zusammenhang unter der Oberfläche ging niemanden außer ihm etwas an.
    Eine halbe Stunde später war er zurück in seinem Zimmer, müde, aber nicht ganz so erschöpft wie an den Tagen zuvor. »Sie kommen unglaublich gut voran. Heute könnten Sie sich schon mal anziehen«, schlug die Krankengymnastin vor. »Probieren Sie, wie es ist, ein bisschen im Sessel zu sitzen und sich dann etwas zu bewegen. Gehen Sie jede Stunde oder so den Flur auf und ab.«
    Er drehte die Lautstärke des Fernsehers wieder hoch und sah immer wieder hin, während er mit seinen Kleidern kämpfte. Alle Nachrichtenmeldungen hatten mit der Explosion im Victoria-Park-Stadion zu tun. Von Fußballexperten, die über die Auswirkung auf die Spiele sprachen, bis zu den Statikern, die über Kosten und Zeit spekulierten, die man brauchen würde, um die Vestey-Tribüne wieder aufzubauen. Martin Flanagan brachte seinen Zorn zum Ausdruck, dass Robbie Bishops Abschied so entweiht worden sei. Freunde und Verwandte weinten über die Toten. Und Yousef Aziz’ Bruder Sanjar bestritt, dass sein Bruder ein Fundamentalist gewesen sei. Während Sanjar sprach, sah man im Hintergrund, wie CTC-Beamte kartonweise Dinge aus seinem Elternhaus hinaustrugen.
    Tony hörte auf, mit seiner Socke zu kämpfen, und wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Fernseher zu.
    Er war kein Verfechter der Vorstellung, dass man das innere Geschehen auf dem Gesicht eines Menschen ablesen könne. Aber er hatte jahrelang beobachtet, wie Leute ihn und sich selbst belogen. Und dies hatte ihm eine kleine Enzyklopädie der Mimik und Gestik an die Hand gegeben, mit deren Hilfe er seine Urteile über die Wahrhaftigkeit einer Person fällen konnte. Bei Sanjar Aziz sah er die leidenschaftliche Überzeugung, dass sein Bruder auf keinen Fall aus religiösem Fundamentalismus ein Loch in das Victoria-Park-Stadion gesprengt hatte, was immer ihn auch motiviert haben mochte. Das Antiterrorkommando nahm sein Zuhause bis auf die Grundmauern auseinander, und er protestierte nicht dagegen. Aber was ihn offensichtlich auf die Palme trieb, war, immer noch einmal wiederholen zu müssen, was er doch als die Wahrheit kannte: Sein Bruder war kein militanter Moslem. Der Fernsehreporter war aber nicht sonderlich daran interessiert, alternative Erklärungen für den Bombenanschlag zu suchen. Er wollte lediglich, dass Sanjar auf die Knie fiel und sich entschuldigte. Dass dies nicht geschehen würde, war jedoch eindeutig.
    Tonys Gedanken schweiften ab, als der Reporter ans Studio zurückgab zu einer weiteren unsensiblen Analyse des Bombenanschlags und seiner Folgen für

Weitere Kostenlose Bücher