Schleichendes Gift
»Ich habe kein Problem damit, im Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit zu stehen.«
»Aber andere Leute schon. Ich habe Chefs, und die wollen bald ein Ergebnis sehen. Der Vorstand von Bradfield Victoria will, dass dies baldmöglichst erfolgreich abgeschlossen wird. Offenbar macht es ihre Spieler nervös.« Brandon war diplomatisch genug, im Allgemeinen seine Gefühle zu verbergen, aber heute war seine Gereiztheit unter der Oberfläche zu spüren. »Und es scheint, dass jeder Bürger von Bradfield der Fan Nummer eins von Robbie Bishop war.« Er seufzte. »Also, wie weit sind wir?«
Carol überdachte ihre Alternativen. Sollte sie das Wenige, was sie hatte, so präsentieren, dass es nach mehr oder nach weniger aussah? Ein Mehr würde sie unter Druck setzen, stichhaltige Fakten vorweisen zu müssen. Ein Weniger aber unter den Druck, etwas zu finden, dem sie nachgehen konnte. Sie entschied sich dafür, es genau so darzulegen, wie es war. Nach ihrem kurzen Bericht sah John Brandon noch elender aus. »Ich beneide Sie nicht«, meinte er. »Aber das soll nicht heißen, dass ich kein Ergebnis haben will. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie mehr Männer oder Mittel brauchen.« Er stand auf.
»Es geht nicht mehr um Mittel, Sir. Sondern um Information.«
»Ich weiß.« Er drehte sich um und wollte gehen. Seine Hand lag schon auf der Türklinke, als er noch einmal zurückschaute. »Soll ich einen anderen Profiler beauftragen? Weil Tony ja flachliegt.«
Carol überkam Panik. Sie wollte nicht gezwungen werden, eine neue berufliche Zusammenarbeit mit jemandem einzugehen, der sie und ihr Team nur sehr wenig kannte und seine Beurteilungen darauf stützte. »Sein Bein ist ausgefallen, nicht aber sein Gehirn«, erwiderte sie hastig. »Ist schon gut. Wenn es etwas gibt, das ein Profiler sich vornehmen sollte, wird Dr. Hill uns zur Verfügung stehen.«
Brandon hob die Augenbrauen. »Lassen Sie mich nicht im Stich, Carol.« Dann war er fort und durchquerte mit ein paar aufmunternden Worten das äußere Büro.
Carol starrte ihm nach und kochte vor Wut. Die Kritik, die er hatte durchblicken lassen, war unangebracht. Kein anderer ranghoher Mitarbeiter John Brandons hatte mehr Engagement gezeigt als sie, sowohl bei der Arbeit als auch für die abstrakten Rechtsgrundsätze, die sie motivierten. Kein anderer ranghoher Mitarbeiter hatte eine bessere Bilanz aufzuweisen bei aufsehenerregenden und schrecklichen Fällen, die das Leben von Menschen ruinierten und die Bürger von Bradfield dazu brachten, sich vor Angst immer wieder umzublicken. Und er wusste das. Irgendjemand musste ihm einen mächtigen Anschiss verpasst haben, dass er sich so benahm, als sei ihm das unbekannt.
Es war DC Evans’ Aufgabe, die Bewohner des umgebauten Lagerhauses zu befragen, in dem Robbie gewohnt hatte. Die Chefin hatte die Idee gehabt, dass Robbie nach seinem Abend im Amatis in der Sauna oder im Dampfbad zu irgendeinem der Nachbarn etwas gesagt haben könnte, das sie auf die Spur des Giftmörders führen könnte. Sam hielt die Idee für unbrauchbar. Wenn Leute wie Robbie Bishop etwas lernten, dann war es, den Mund zu halten in der Gegenwart eines jeden, der versucht sein könnte, ihn für die Klatschspalten von Heat oder Bradfield Evening Sentinel zu zitieren. Er wusste, dass Carol Jordan fand, er solle seine eigennützige Arbeitsweise ändern, besonders nachdem Don Merricks Entschluss, ohne Absicherung einer heißen Spur zu folgen, so katastrophal ausgegangen war. Sie hatte ihm zu verstehen gegeben, dass jetzt nur noch Teamgeist akzeptabel sei, aber er wusste, dass sie selbst ihre heutige Position nicht erreicht hatte, indem sie ihre eigenen Interessen zurückstellte. Solange er damit erfolgreich war, konnte sie ihm nicht vorwerfen, dass er sein eigenes Ding machte.
Statt sich also der sinnlosen Von-Tür-zu-Tür-Arbeit zu widmen, saß er in seinem Wohnzimmer mit dem Laptop auf den Knien und Robbie Bishops E-Mails auf dem Bildschirm. Stacey hatte gesagt, es sei nichts von Belang dabei, aber er glaubte nicht, dass sie die Zeit gehabt hatte, sie alle einzeln durchzugehen. Vor allem nicht, weil sie auch noch die technische Überprüfung seiner Festplatte durchführen musste. Vielleicht hatte sie die E-Mails flüchtig überflogen, aber er hätte ein Monatsgehalt darauf gewettet, dass sie nicht alle Einzelheiten studiert hatte.
Nach einer Stunde musste er jedoch zugeben, dass Kritik an Staceys mutmaßlichem Versäumnis nicht angebracht war. Es war schlimm genug,
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