Schleichendes Gift
war eine Menge – verdiente sie mit den Programmen, die sie auf ihren eigenen Computern zu Hause schrieb. Das war die eine Art ihrer Befriedigung. Ihre Nase in die Privatsphäre anderer Leute zu stecken war die andere. Jetzt hatte sie, was sie wollte, und sie hatte es sich bei Gott auch verdient.
Der einzige Nachteil war, dass sie hin und wieder direkt mit Menschen umgehen musste. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund meinte man bei der Polizei immer noch, dass man bessere Ergebnisse bekäme, wenn man die gleiche Luft wie die Leute atmete, die man vernahm. Noch ganz im Stil des zwanzigsten Jahrhunderts, dachte Stacey, während ihr Navigationssystem »Zielort erreicht« meldete.
Die Zentrale von »Best Days of Our Lives« sah keiner der Softwarefirmen ähnlich, die Stacey bisher kennengelernt hatte. Es war eine vorstädtische Doppelhaushälfte am Rand von Preston, nur eine kurze Strecke von der M6 entfernt, die allerdings oft vom Verkehr verstopft war. Es schien merkwürdig, dass eine Firma, die nur einige Monate zuvor Gegenstand eines Übernahmeversuchs durch eine millionenschwere Konkurrentin gewesen war, ihren Sitz in einem Kasten aus den Siebzigern hatte, der beim besten Willen nicht viel mehr als zweihunderttausend Pfund wert sein konnte. Aber dies war die Adresse, die im Handelsregister angegeben und ihr per E-Mail zugeschickt worden war.
Als Stacey aus dem Wagen stieg, öffnete sich die Haustür, und eine Endzwanzigerin in modisch zerfransten Jeans und einem Rugbyhemd mit Commonwealth-Games-Aufdruck lächelte ihr freundlich entgegen. »Sie müssen DC Chen sein«, sagte sie mit einem Akzent, der nach dem Südwesten klang. »Kommen Sie doch rein.«
Stacey, die sich mit Chinos von Gap und Kapuzenpulli entsprechend ihrem Status als Computerfreak schick gemacht hatte, gab das Lächeln zurück. »Gail?«
Die Frau strich sich das Haar mit den blonden Strähnchen zurück und hielt ihr die Hand hin. »Nett, Sie kennenzulernen, kommen Sie doch rein.« Sie führte Stacey in ein Wohnzimmer, das mit Sofas und Sesseln vollgestopft war. Kinderspielzeug lag auf einem Haufen in einer Ecke neben dem Fernseher. Auf einem Couchtisch waren Zeitschriften und Ausdrucke von Listen verstreut. »Tut mir leid, dass es hier so aussieht. Wir versuchen schon seit einem Jahr umzuziehen, aber irgendwie finden wir nie die Zeit, uns Häuser anzusehen.«
Der Gedanke, niemals Kinder zu haben, war Stacey angenehm. Sie liebte die klaren Linien ihrer Dachgeschosswohnung. Hier zu wohnen würde sie zweifellos in den Wahnsinn treiben. Aber sie log: »Das macht doch nichts.«
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Tee, Kaffee, Kräutertee, Red Bull, Cola light … Milch?«
»Nein, danke.« Stacey lächelte, die Augenwinkel ihrer dunklen, mandelförmigen Augen hoben sich leicht. »Ich wusste nicht, dass ihr die Firma von zu Hause aus betreibt. Großartige Idee übrigens.«
»Danke.« Gail ließ sich auf eines der Sofas plumpsen und verzog das Gesicht. »Es fing als Hobby an. Dann hat es überhandgenommen. Fast jeden Tag rufen große Unternehmen an, die uns aufkaufen wollen. Aber wir wollen nicht, dass es sich ändert und nur noch mit Geld zu tun hat. Wir wollen, dass die Seite für Menschen da ist und dass es darum geht, alte Kontakte wieder aufzunehmen. Manche Leute sind wieder zusammengekommen, nachdem sie ein ganzes Leben getrennt waren. Wir waren zu Hochzeiten eingeladen und haben eine ganze Pinnwand voll mit Fotos von ›Best Days‹-Babys.« Gail grinste. »Ich komme mir vor wie eine gute Fee.«
Stacey erkannte das Zitat. Sie hatte es in zwei Online-Interviews mit Gail über die Firma und ihren Einfluss auf das Leben der Menschen gelesen. »Aber trotzdem ist nicht nur alles eitel Sonnenschein, oder? Ich habe gehört, dass Ehen auch auseinandergingen.«
Gail zupfte am ausgefransten Stoff der Sofalehne. »Wo gehobelt wird, fallen Späne.«
»Das ist aber keine gute Werbung, oder?«
Gail schien etwas verblüfft, als fragte sie sich, wie diese Unterhaltung so schnell von den heiteren und herzlichen Dingen hatte abkommen können. »Nein. Ehrlich gesagt, wir versuchen über diesen Aspekt nicht zu reden.« Sie lächelte wieder, aber diesmal weniger strahlend. »Man braucht ja nicht darauf herumzureiten, sage ich immer.«
»Klar. Und ich bin mir sicher, dass Sie sich wirklich nicht wünschen, in negativer Weise mit Ermittlungen zu einer Mordsache in Verbindung gebracht zu werden«, sagte Stacey.
Gail sah aus, als hätte sie eine
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