Schleier des Herzens (German Edition)
behaglichen Stall wie Beatriz nach ihrer sicheren Kemenate.
Beatriz schlang den Führstrick um den Pferdehals, verknotete ihn am Halfter und funktionierte ihn damit zum Zügel um. Nun brauchte sie nur noch eine Aufstiegshilfe. Zum Glück gab es reichlich Felsen. Sie führte das Pferd ein Stück weit zu einem geeigneten Stein. Die Stute nahm bereitwillig daneben Aufstellung. Auch zu Hause gebrauchte Beatriz eine Aufstiegshilfe, wenn kein Kavalier zur Hand war, ihr in den Sattel zu helfen. Nun glitt sie auf den ungesattelten Pferderücken, wobei die Stute unwillig den Kopf hob. Dem Pferd schien diese neue Art der Reiterei nicht geheuer zu sein, und auch Beatriz sehnte sich schon nach den ersten Schritten nach ihrem bequemen Seitsattel. Die Stute, ein schlankes Vollblutpferd, erwies sich als erheblich knochiger als die Arbeitstiere ihres Vaters; am Ende dieses Rittes würde Beatriz hoffnungslos wund sein. Alles wurde noch viel schlimmer, als Beatriz schließlich antrabte. Sie war inzwischen drei Pfeilfluglängen vom Lager entfernt und meinte, das Wagnis eingehen zu können. Die Männer würden die Hufschläge kaum noch hören. Also kitzelte sie das Pferd etwas mit den Hacken wie damals die Esel ... und wurde vom Schwung des Antrabens unsanft in die Luft geschleudert! Die Stute zögerte nicht wie die Ackertiere, sondern nahm die Hilfe sofortan und setzte sich in raschen Trab. Beatriz musste einen Aufschrei unterdrücken, als die Schritte sie auf dem Pferderücken hinauf und hinunter warfen; schmerzhaft schnitt der Widerrist des Pferdes in ihren Schritt. Verzweifelt zog das Mädchen an den Zügeln, um das Tier in eine ruhigere Gangart zurückzuholen. Gewöhnlich trabte es nie so schnell, sondern freute sich an erhabenen, eleganten Trabschritten. Das selbstgeknüpfte Halfter war indessen nur ein Ersatz für die Kandare, die Stute dachte gar nicht daran, auf Beatriz’ ruppigen Zügelzug den Hals rund zu machen und federnd zu traben. Stattdessen setzte sie sich jetzt in Galopp – zunächst eine Erleichterung; zumindest schleuderten ihre Schritte das Mädchen jetzt nicht mehr auf und ab. Beatriz konnte sich etwas nach hinten setzen, und die Schmerzen ebbten ab. Dafür ermüdeten ihre Schenkel vom Anklammern – und zudem hatte sie das Gefühl, als würde das Pferd immer schneller werden. Die Stute reagierte nicht auf ihren Zügelzug, und ihre verzweifelten Versuche, einen sicheren Sitz zu finden, schienen das Tier noch anzuspornen. Niemals würde Beatriz das zwei Stunden oder länger aushalten ! Dazu donnerten die Hufe des Pferdes jetzt über steinigen Grund. Sie würde sich das Genick brechen, wenn sie herunterfiel. In Todesangst klammerte das Mädchen sich fest, während das Pferd kopflos davon raste. War es überhaupt noch der Weg, den sie gekommen waren? Beatriz fehlte die Kraft, sich zu orientieren, sie war von Panik erfüllt.
»Halt an, so halt doch an!«, schluchzte sie und zerrte am Zügel, aber das Pferd reagierte nicht. Immerhin war es trittsicher. Geschmeidig übersprang es Felsen und Buschwerk, was Beatriz noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte. Dies war kein gepflegter Weg mehr, die Stute rannte geradewegs durch die Wildnis. Buschwerk zerriss Beatriz’ Kleid und zerkratzte ihre Beine, einmalmusste sie sieh bücken, um nicht unter einem Johannisbrotbaum mit tief hängenden Ästen abgestreift zu werden. Die Hufe ihrer Stute donnerten auf hartem Grund. Waren es wirklich nur vier Hufe? Beatriz kam es vor, als hörte sie den Schlag von hunderten ... Das Geräusch verebbte nicht einmal, als ihr Pferd nun ausnahmsweise über eine sandige Wegstrecke galoppierte. Und dann schien die Stute zu zögern, erstmalig in ihrem rasenden Lauf innezuhalten. Zu Beatriz’ Entsetzen wechselte sie wieder in Trab, und sie klammerte sich mit letzter Kraft am Zügel fest. Aber der Hufschlag erklang immer noch im Dreitakt des Galopps – er wurde immer lauter und konnte nicht nur von einem Tier stammen ! Beatriz wusste nicht, ob sie darüber glücklich oder entsetzt sein sollte, aber sie wurde zweifellos verfolgt. Ein zweites Pferd näherte sich in rasender Geschwindigkeit. Sie sah nicht zurück, sie brauchte all ihre schwindende Energie, sich überhaupt weiterhin auf dem Pferderücken zu halten. Aber dann schloss ihr Verfolger auf. Im Mondlicht wirkte das Fuchsrot von Touhamis Fell dunkel und fahl, aber es war zweifellos der Hengst, der jetzt Anstalten machte, an Beatriz Stute vorbeizugehen. Sein Reiter griff nach den Zügeln ihrer
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