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Schleier und Schwert

Schleier und Schwert

Titel: Schleier und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brisbin
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fragte.
    „Schwester?“, erwiderte er und versuchte, wieder zur Besinnung zu kommen. „Verzeiht, meine Gedanken sind einen Augenblick lang abgeschweift“, sagte er. Schuldbewusst kehrte er zum Thema ihres Gesprächs zurück und fragte: „Wie lautete Eure Frage, Schwester?“
    Sein Körper, besonders ein ganz bestimmter Teil davon, bebte vor Erwartung. Obwohl er wusste, dass die Frage sich auf etwas Alltägliches beziehen würde, ließ sein Verlangen die Hoffnung auf etwas anderes aufkeimen. Bei Odin, er musste seine Beherrschung wiedererlangen, oder er würde für Margriet und für sich eine Gefahr darstellen!
    „Während unserer Reise möchte ich auch gern mit Euch reden. Ich habe viele Fragen über meinen Vater und Lord Erengisl und darüber, wie die Dinge jetzt in Kirkvaw und in Norwegen stehen. Ich war so lange fort und habe nur gelegentlich einen Brief von meinem Vater erhalten.“ Sie hielt inne und sah ihm tief in die Augen. „Und nie waren es genug der Worte.“
    Rurik wusste, dass sie ihm gerade etwas sehr Persönliches und Schmerzhaftes anvertraut hatte. Er hatte sich sein Exil selber gewählt, doch sie, wie das nun einmal bei vielen Töchtern oder Ehefrauen war, hatte nicht selbst entscheiden können.
    „Da fragt Ihr besser Sven oder Magnus, denn seit fast dreizehn Jahren bin ich nicht mehr in Kirkvaw gewesen.“
    Bei seiner Enthüllung schnappte sie kurz nach Luft und blinzelte heftig. Rurik war selbst überrascht. Er hatte nicht vorgehabt, ihr so viel von sich zu erzählen. Doch er spürte den Schmerz, der sie wegen ihrer Einsamkeit quälte. Seine Worte sollten Balsam für ihre Wunden sein.
    „Dreizehn Jahre? Ihr habt dreizehn Jahre lang in Schottland gelebt?“
    „Ja, länger als Ihr, wenn auch nicht viel länger.“
    „Dann wart Ihr um einiges älter als ich bei meiner Ankunft.“
    Er konnte sehen, dass sie sich für das Thema erwärmte und im Begriff war, noch mehr Fragen zu stellen. Davon wollte er sie abhalten. Nun gut, mit seinem Eingeständnis hatte er angefangen, über sich zu sprechen, aber mehr wollte er nicht sagen. Es gab Fragen, die er sich selbst nicht beantworten wollte, geschweige denn Margriet. Also beendete er das Gespräch.
    „Ja, und selbst jetzt bin ich noch viel älter, Schwester. Also“, sagte er und hob die Zeltklappe hoch, sodass sie eintreten konnte, „bald wird der Morgen anbrechen, und Ihr müsst Euch ausruhen.“
    Der aufblitzende Schmerz in ihren Augen ließ ihn fast innehalten. Er wusste, es war ein ziemlich schroffer Abschied. Er zwang sich, nicht von seiner Haltung abzuweichen. Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Doch er hatte die Qual des Exils gespürt, und so versuchte er trotzdem, den Schlag zu mildern.
    „Auf unserer restlichen Reise liegen noch viele Tage vor uns, an denen Ihr Fragen stellen könnt“, fügte er hinzu. Er klang weit weniger besorgt, als er es in Wirklichkeit war.
    In ihren Augen konnte er immer noch einen Hauch von Schmerz lesen. Aber sie nickte zustimmend und ging ohne weiteren Widerspruch und ohne eine Bemerkung ins Zelt. Ruriks Herz schlug heftig. Es war nie seine Absicht gewesen, sie zu verletzen. Er wollte sehen, wie sie ihn anlächelte und nicht, wie sie bei seiner Zurückweisung schmerzvoll zusammenzuckte.
    Hatte sie eine Ahnung davon, wie sehr sich ihre Lebensgeschichten glichen? Beide wurden sie von Familie und Freunden getrennt. Beide wurden wegen der Ehre und der Pflicht zurückgerufen. Beide widersetzten sie sich dem Ruf.
    Rurik trat zurück, ließ die Klappe niederfallen und schloss so das Zelt hinter den beiden Frauen. Ganz gleich, wie sehr er sich wünschte, Margriet in den Armen zu halten und zu trösten, was jetzt zählte war das, was sie unterschied.
    Denn er war ein Mann und sie eine Frau.
    Er war Erengisls Sohn, und sie war Gunnars Tochter.
    Er war ein kriegerischer Bastard, der dabei war, sich als ehrenhafter Mann zu verkleiden und sie war
    ja, was?
    Tief in seinem Innern wusste Rurik, dass sie keine Nonne war. Er konnte es nicht beweisen, doch das Gefühl war zu stark, um falsch zu sein. Margriet trug Habit und Schleier nicht wie Zeichen eines heiligen Gelübdes. Er wusste nur nicht, warum sie diese Tracht trug. Aber noch vor dem Ende der Reise würde er ihr Geheimnis entdeckt haben. Das Problem und die Gefahr lagen darin, dass sie beide Geheimnisse hatten und sie hüteten. Er war überzeugt, dass Margriet das tat.
    Während er noch einmal um das Lager ging, dachte er über ihr Geheimnis nach. In den letzten zehn Jahren hatten sich

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