Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
aus der Derozio, der Nachahmer Byrons, hervorgegangen ist, auch seinen Schilderer oder Dichter hervorbringen. Und dann werden auch wir erst erfahren, wie es wirklich lebt und fühlt. Vorläufig kann kein Bericht Wahrheit oder auch nur größere Wahrscheinlichkeit vermitteln.
Miß Vezzis kam von jenseits der Grenze. Sie sollte bis zur Ankunft einer englischen Kinderwärterin die Kinder einer Dame beaufsichtigen. Die Dame sagte, Miß Vezzis wäre ein schlechtes, schmutziges und unzuverlässiges Kindermädchen.Sie kam nie auf den Gedanken, daß Miß Vezzis ein eigenes Leben zu führen und eigene Sorgen zu tragen hatte, und das gerade diese Dinge für Miß Vezzis in aller Welt das Wichtigste waren. Sehr wenige Dienstherrinnen erkennen diesen Standpunkt an. Miß Vezzis war schwarz wie Pech und für unseren Geschmack abschreckend häßlich. Sie trug Kleider aus bedrucktem Kattun und ausgetretene Schuhe. Wenn sie die Laune verlor, schalt sie mit den Kindern in dem Dialekt der Grenzsprache, einem Mischmasch aus Englisch, Portugiesisch und Hindustanisch. Sie war nicht anziehend, nicht reizvoll, aber sie hatte ihren Stolz und liebte es, sich »Miß« Vezzis nennen zu lassen.
Jeden Sonntag putzte sie sich wunderschön heraus und besuchte ihre Mama, die den größten Teil ihres Lebens auf einem alten Korbsessel in einem schmierigen Morgenrock aus Tussurseide versaß. Sie lebte in einem kaninchenbauartigen Hause, das voll war von lauter Vezzis, Pereiras, Ribieras, Lisboas, Gonsalvas und einer stets wechselnden Gesellschaft von Bummlern. Überall roch es nach Speiseresten, Knoblauch und abgestandenem Weihrauch; alte Kleider lagen herum, Unterröcke hingen statt Vorhängen an den Wänden, und alles war voll von leeren Flaschen, zinnernen Kruzifixen, vertrockneten Immortellen, jungen, herrenlosen Hunden, Gipsfiguren der heiligen Jungfrau und alten Hutkrempen.
Miß Vezzis erhielt für ihre Tätigkeit als Kindermädchen zwanzig Rupien im Monat und zankte sich allwöchentlich mit der Mama über ihren Zuschuß zum Haushalt. Wenn sie sich ausgestritten hatten, kletterte Michele D'Cruze gemächlich über die niedrige Lehmmauer, um Miß Vezzis im Stil der Grenzleute, – mit allerlei Förmlichkeiten, – den Hof zu machen. Michele war ein armes, kümmerliches Gewächs, ganz schwarz, aber er hatte seinen Stolz. Nicht um alles inder Welt hätte er sich mit einer Wasserpfeife im Munde sehen lassen; er blickte auf die Einheimischen herab, wie es nur ein Mann, der sieben Achtel von ihrem Blute in seinen eigenen Adern hat, tun wird. Die Familie der Vezzis hatte auch ihren Stolz. Sie führte ihren Ursprung auf einen mythischen Schienenleger zurück, der auf der Sone-Brücke gearbeitet hatte, als die ersten Eisenbahnen nach Indien kamen, und sie hielten sehr auf ihre englische Abstammung. Michele war Telegraphist mit 35 Rupien Monatsgehalt. Die Tatsache, daß er Regierungsbeamter war, stimmte Miß Vezzis milde gegen die Unzulänglichkeit seiner Ahnen.
Nach einer sehr peinlichen Legende, – der Schneider, Dom Anna hatte sie von Poonani mitgebracht, – hatte nämlich einst ein schwarzer Jude aus Cochinchina in die Familie D'Cruze hineingeheiratet. Außerdem war es ein offenes Geheimnis, daß ein Onkel von Mrs. D'Cruze noch heute in einem südindischen Klub irgendwelche niederen Küchendienste verrichtete. Er schickte Mrs. D'Cruze zwar allmonatlich 7 Rupien 8 Anna, aber sie litt trotzalledem schwer unter dieser Schändung der Familie.
Nichtsdestoweniger überwand sich Mrs. Vezzis nach Verlauf einiger Sonntage soweit, diesen Makel zu übersehen und ihre Einwilligung in Miß Vezzis' Heirat mit Michele zu geben, allerdings unter der Bedingung, daß Michele mindestens 50 Rupien monatlich zur Gründung eines Hausstandes aufzuweisen habe. Diese bewundernswerte Vorsicht muß wohl ein letztes Erbteil vom Yorkshirer Blut des mythischen Schienenlegers gewesen sein. Denn jenseits der Grenze setzen die Leute ihren Stolz darein, zu heiraten, wann sie wollen, und nicht, wenn sie es können.
Angesichts der Beförderungsaussichten Micheles hätte Mrs. Vezzis ebensogut fordern können, er solle mit dem Mond in der Tasche wiederkommen. Aber er war sehr verliebt inMiß Vezzis, und das gab ihm den Mut, auszuharren. Eines Sonntags begleitete er Miß Vezzis zur Messe, und als sie dann Arm in Arm durch den heißen, dumpfigen Staub wieder nach Hause gingen, schwor er ihr bei den verschiedensten Heiligen, deren Namen uns hier nichts angehen, daß er nimmermehr von
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