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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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London zurück« nach zwanzig Takten plötzlich abbrach, fragte jede einzelne Seele im Kasino: »Was in aller Welt ist passiert?« Eine Minute später hörte man höchst unmilitärische Geräusche und gewahrte, weit über die Ebene verstreut, die vollkommen aufgelösten, fliehenden Weißen Husaren.
    Der Oberst war vor Wut sprachlos; er glaubte, das Regiment hätte gemeutert oder wäre bis auf den letzten Mann betrunken. Da jagte auch schon die Regimentskapelle – ein hoffnungslos desorganisierter Mob – vorbei, hinter ihr, im schwerfälligen Trabe, das tote und bereits begrabene Paukenpferd mitsamt dem wippenden, rasselnden Gerippe. Hogan-Yale flüsterte Martyn leise zu: »Das hält der stärkste Draht nicht aus«, und die Kapelle, die wie ein Hase einen Haken geschlagen hatte, stürmte zum zweiten Male vorbei. Das übrige Regiment jedoch war verschwunden – auf einer wilden Jagd durch die ganze Provinz, denn inzwischen war es dämmrig geworden und jeder einzelne Mann brüllte seinem Nachbar zu, das Paukenpferd sei ihm unmittelbar auf den Flanken. Kavalleriepferde werden im allgemeinen viel zu schonend behandelt. Im Notfalle vermögen sie selbst mit einer Belastung von zweihundert Pfund Außerordentliches zu leisten. Das merkten jetzt ihre Reiter.
    Wie lange diese Panik währte, kann ich nicht sagen. Ich glaube, die Leute erkannten, als der Mond aufging, daß sie nichts mehr zu befürchten hatten und schlichen sich, entsetzlich beschämt, langsam zu Zweit, zu Dritt und truppweise in die Kasernen zurück. Inzwischen hatte das Paukenpferd,verstimmt über die Behandlung, die seine alten Freunde ihm angedeihen ließen, angehalten und Kehrt gemacht und war zu den Verandastufen des Kasinos getrabt, um sich sein Stück Brot zu holen. Niemand wollte sich die Blöße geben, auszureißen; aber es hatte auch niemand Lust, sich dem Pferde zu nähern, bis endlich der Oberst selbst eine Bewegung machte und das Gerippe am Fuß packte. Die Kapelle hatte inzwischen in einiger Entfernung gehalten und kam jetzt langsam näher. Der Oberst warf ihr einzeln und kollektiv jedes üble Schimpfwort an den Kopf, das ihm im Augenblick einfiel, denn er hatte mittlerweile das Paukenpferd an der Brust angefaßt und gemerkt, daß es aus Fleisch und Blut war. Dann trommelte er mit geballter Faust auf die Kesselpauken los und entdeckte, daß sie nur aus Silberpapier und Bambusstäben bestanden. Zuletzt versuchte er immer noch fluchend, das Gerippe aus dem Sattel zu reißen, fand jedoch, daß es durch Drähte an die Sattelpausche befestigt war. Das Bild, wie der Oberst mit seinen Armen des Gerippes Hüften umschlang und sich mit dem Knie gegen des alten Paukenpferds Bauch stemmte, war etwas auffallend, um nicht zu sagen komisch. Nach zwei, drei Minuten hatte er das Gespenst glücklich heruntergezerrt und zu Boden geworfen, wobei er der Kapelle zuschrie: »Hier habt Ihr das Zeugs, vor dem Ihr ausgekniffen seid, Ihr Hunde!« Das Gerippe sah in der Dämmerung nicht gerade reizvoll aus. Aber der Kapellmeister schien es wiederzuerkennen, denn er begann plötzlich zu kichern und zu schlucken. »Soll ich es wegräumen, Herr Oberst?« fragte der Kapellmeister. »Ja,« sagte der Oberst, »schicken Sie 's zur Hölle und reiten Sie selbst hinterdrein!«
    Der Kapellmeister grüßte, schwang das Gerippe über den Sattel und führte das Pferd nach dem Stall. Dann begann der Oberst sich nach der übrigen Mannschaft zu erkundigen,und die Sprache, der er sich dabei bediente, war wunderbar. Er würde das ganze Regiment auflösen – jeden einzelnen Kerl vor 's Kriegsgericht bringen – er verzichte darauf, ein derartiges Gesindel zu kommandieren. Als die Leute langsam und allmählich den Weg zurückfanden, wurden seine Ausdrücke immer wüster, bis sie zum Schluß selbst die äußersten Grenzen der Redefreiheit überschritten, die einem Kavallerieoberst erlaubt ist.
    Martyn zog Hogan-Yale beiseite und meinte, Geschaßtwerden wäre wohl das Geringste, dessen sie sich zu versehen hätten, wenn die Sache herauskäme. Martyn war der weniger Charaktervolle von beiden. Hogan-Yale zog nur die Augenbrauen hoch und bemerkte: erstens sei er der Sohn eines Lords, und zweitens wäre er an der theatralischen Auferstehung des Paukenpferds so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.
    »Meine Instruktionen«, sagte Yale mit ganz besonders gewinnendem Lächeln, »lauteten: ich solle das Paukenpferd auf möglichst eindrucksvolle Art zurückbefördern. Ich frage Dich: kann ich dafür,

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