Schließe deine Augen
nach vorn hängender Kopf hatte einen scharfen Schmerz im Schlüsselbein ausgelöst. Als er sich aufrichtete, stellte sich im Nacken ein ganz ähnlicher Schmerz ein. Statt ihn zu erfrischen, hatte das Dösen am Tisch nur seine Ängste wiederbelebt.
Sein innerer Aufruhr machte jeden echten Schlaf unmöglich. Er musste etwas tun, um nicht innerlich von einem Horrorszenario zum nächsten zu springen.
Er konnte Sheridan Klines Anruf erwidern. Der Bezirksstaatsanwalt hatte ihm diese vage Nachricht über die Familie Skard hinterlassen. Das hatte er zwar inzwischen schon mit Hardwick geklärt, aber vielleicht wusste Kline mehr. Natürlich war sein Büro jetzt geschlossen. Es war Sonntagabend.
Aber er kannte Klines private Handynummer. Weil sie noch von der Arbeit am Fall Mellery im letzten Jahr stammte, hatte er in der laufenden Angelegenheit bisher nicht darauf zurückgegriffen. Doch solche Rücksichten traten in den Hintergrund, wenn es darum ging, nicht den Verstand zu verlieren.
Er trat ins Arbeitszimmer, um die Nummer herauszusuchen. Er rechnete damit, eine Nachricht zu hinterlassen und vielleicht später einen Rückruf zu erhalten, weil ein Kontrollfreak wie der Bezirksstaatsanwalt bestimmt darauf Wert legte, dass Telefonate nach seinem Zeitplan stattfanden. Umso überraschter war er, Klines Stimme zu hören.
»Gurney?«
»Entschuldigen Sie, dass ich so spät anrufe.«
»Ich dachte, Sie melden sich früher. Schließlich war es Ihre Idee, Karnala Fashion zu durchleuchten.«
»Tut mir leid, mir ist was dazwischengekommen. In Ihrer Nachricht haben Sie gefragt, ob ich von der Familie Skard gehört habe.«
»Da hat uns der Karnala-Ansatz hingeführt. Ist Ihnen der Name bekannt?«
»Ja und nein.«
»Das ist keine Antwort.«
»Ich wollte damit nur sagen, Sheridan, dass er mir bekannt vorkommt, aber ich weiß nicht, woher. Jack Hardwick hat mich darüber informiert, dass die Skards üble Gestalten mit sardischen Wurzeln sind. Trotzdem ist mir noch nicht eingefallen, woher ich den Namen kenne. Aber ich weiß, dass ich erst vor Kurzem darüber gestolpert bin.«
»Mehr hat Ihnen Hardwick nicht erzählt?«
»Doch. Dass kein Skard je verurteilt wurde. Und dass Karnala Fashion garantiert nicht in der Modebranche tätig ist.«
»Dann wissen Sie also so viel wie ich. Weshalb haben Sie mich sonst noch angerufen?«
»Ich möchte offiziell in die Abläufe eingebunden werden.«
»Was soll das heißen?«
»Laufende Informationen, Einladungen zu Besprechungen.«
»Warum?«
»Ich habe mich gut in den Fall eingearbeitet. Und bisher habe ich mit meinen Vermutungen ziemlich richtiggelegen.«
»Das muss sich erst noch herausstellen.«
»Hören Sie, Sheridan, ich will nur darauf hinaus, dass wir uns gegenseitig helfen können. Je mehr ich erfahre, und je schneller ich es erfahre, desto nützlicher kann ich mich machen.«
Langes Schweigen entstand. Gurney glaubte zu ahnen, dass das von Klines Seite mehr auf Technik als auf Unentschlossenheit beruhte. Er wartete.
Schließlich stieß Kline ein freudloses Lachen aus. »Sie wissen, dass Rodriguez Sie nicht riechen kann, oder?«
»Natürlich.«
»Blatt kann Sie auch nicht ausstehen.«
»Stimmt.«
»Und selbst Bill Anderson mag Sie nicht besonders.«
»Sicher.«
»Also sind Sie beim BCI ungefähr so willkommen wie ein Furz im Fahrstuhl. Das ist Ihnen doch klar?«
»Ich zweifle keine Sekunde daran.«
Wieder kehrte Stille ein, gefolgt von einem weiteren eisigen Glucksen Klines.
»Ich werde es folgendermaßen machen. Ich erzähle allen, dass wir ein Problem mit Gurney haben. Gurney ist eine tickende Zeitbombe. Und eine tickende Zeitbombe muss man überwachen, man muss sie an der kurzen Leine halten, in einem Pferch sozusagen. Und um Sie zu überwachen, plane ich, Sie häufig zu uns zu zitieren, damit Sie uns Ihre Tickende-Zeitbombe-Gedanken mitteilen. Wie finden Sie das?«
Die Absicht, eine tickende Zeitbome in einem Pferch an der Leine zu halten, hörte sich für Gurney an wie ein Symptom geistiger Umnachtung. »Klingt brauchbar.«
»Gut. Morgen um zehn findet eine BCI -Besprechung statt. Seien Sie pünktlich.« Ohne ein Wort des Abschieds ging Kline aus der Leitung.
51
Völlige Verwirrung
Den Rest des Abends fühlte sich Gurney durch die Unterhaltung und die Aussicht auf weitere Einbeziehung gestärkt und zugleich beruhigt.
Erfreut und einigermaßen erstaunt bemerkte er nach dem Erwachen bei Sonnenaufgang, dass er sich noch immer so fühlte. Um diese Stimmung zu
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