Schließe deine Augen
nähren und in den vergleichsweise festen Grenzen einer Welt zu bleiben, in der er nicht der Gejagte, sondern der Jäger war, vertiefte er sich beim Morgenkaffee zum ungefähr zehnten Mal in die Akte Perry. Dann wählte er Rebecca Holdenfields Nummer und hinterließ eine Nachricht mit der Frage, ob er sie am Nachmittag nach der BCI -Besprechung in ihrem Büro in Albany aufsuchen konnte.
Anrufe, Rückrufe, Terminvereinbarungen – all das schuf eine Dynamik, der er blindlings folgte. Er rief Val Perry an und wurde auf ihre Mailbox geleitet. Doch schon nach seinen Worten »Hier Dave Gurney.« ging sie persönlich hin. Er hätte sie nicht als Frühaufsteherin eingeordnet.
»Was ist los?«
Da er nicht mit einem persönlichen Gespräch gerechnet hatte, erwiderte er: »Ich wollte mich nur mal melden.«
»Ach. Und …?« Sie klang nervös, aber wohl nicht nervöser als üblich.
»Sagt Ihnen der Name Skard etwas?«
»Nein. Sollte er das?«
»Hätte ja sein können, dass Jillian ihn vielleicht mal erwähnt hat.«
»Jillian hat nie irgendwas erwähnt. Es war nicht unbedingt so, dass sie sich mir anvertraut hätte. Ich dachte, dass habe ich klar zum Ausdruck gebracht.«
»Vollkommen klar und nicht nur einmal. Aber manche Fragen muss ich stellen, auch wenn ich die Anwort schon mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit kenne.«
»Okay. Sonst noch was?«
»Hat Jillian Sie oder Ihren Mann je gebeten, ihr ein teures Auto zu kaufen?«
»Es gibt wohl kaum etwas, das Jillian nicht irgendwann verlangt hat. Also wahrscheinlich ja. Andererseits hat sie schon seit ihrem zwölften Lebensjahr keinen Zweifel daran gelassen, dass Withrow und ich für ihr Glück irrelevant sind – dass sie jederzeit einen reichen Mann auftreiben kann, der ihr gibt, was sie will. Sie hat den Standpunkt vertreten, dass wir sie am Arsch lecken können.« Sie hielt inne, möglicherweise um die Schockwirkung ihrer Worte auszukosten. »Ich muss los. Noch Fragen?«
»Das war’s fürs Erste, Mrs Perry. Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben.«
Wie Kline am Abend zuvor beendete Val Perry das Gespräch ohne Gruß. Offenbar hatte sie sich von Gurneys Einschaltung in die Mordermittlungen mehr versprochen.
Um zehn vor zehn bog er auf den Parkplatz des festungsgleichen Polizeireviers, in dem die Besprechung angesetzt war. Während der einen Minute, in der er nach einer Lücke suchte, klingelte sein Handy zweimal. Ein Anruf und eine SMS . Er rechnete damit, dass mindestens eins von beidem von Rebecca Holdenfield stammte.
Sobald er geparkt hatte, nahm er das Telefon heraus und sah nach der SMS . Eine Handynummer mit einer Vorwahl aus Manhattan.
Als er den Text las, schloss sich eine eisige Faust um seinen Magen.
»Denken Sie noch an meine Mädchen? Die zwei denken fest an Sie.«
Wieder und wieder las er die Worte. Dann sah er sich die Nummer an. Die Tatsache, dass der Absender sie nicht blockiert hatte, bedeutete mit Sicherheit, dass sie zu einem unaufspürbaren Prepaidhandy gehörte. Aber er hatte damit auch die Möglichkeit, eine Antwort zu schicken.
Nachdem er wütende und draufgängerische Formulierungen verworfen hatte, entschied er sich für vier emotionslose Worte: »Erzählen Sie mir mehr.«
Als er das Ganze abschickte, bemerkte er, dass es schon 9.59 Uhr war. Er hastete ins Gebäude.
Bei seiner Ankunft in dem kahlen Konferenzraum waren die sechs Stühle am Tisch bereits besetzt. Die Begrüßung fiel aus, nur Hardwick deutete auf mehrere Klappstühle, die neben der Kaffeemaschine an der Wand lehnten. Rodriguez, Anderson und Blatt ignorierten ihn. Gurney konnte sich lebhaft ihre wenig begeisterte Reaktion auf den schlauen Plan des Bezirkstaatsanwalts vorstellen, die tickende Zeitbombe zu den Besprechungen einzuladen, um sie besser kontrollieren zu können.
Am hinteren Ende des Tischs saß über ihr Notebook gebeugt Sergeant Wigg, eine rothaarige Beamtin, an deren effiziente Arbeit als Koordinatorin der Spurenauswertung im Fall Mellery sich Gurney noch gut erinnern konnte. Ihr kam es vor allem auf faktische und logische Stimmigkeit an. Gurney klappte seinen Stuhl auf und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Die Wanduhr zeigte fünf nach zehn.
Sheridan Kline spähte finster auf seine Uhr. »Okay, Leute. Wir sind spät dran. Ich habe heute einen engen Terminplan. Vielleicht könnten wir gleich mit Neuigkeiten, bedeutenden Fortschritten, vielversprechenden Anhaltspunkten anfangen?«
Rodriguez räusperte sich.
»Dave hat was Neues«, warf
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