Schließe deine Augen
Hardwick ein. »Eine Merkwürdigkeit am Tatort. Wäre vielleicht ein guter Start für das Treffen.«
Kline bekam große Augen. »Was ist es diesmal?«
Gurney hatte eigentlich abwarten wollen, ehe er das Problem ansprach, in der Hoffnung, dass vielleicht noch relevante Informationen auftauchten. Doch nach Hardwicks Vorpreschen war das nicht mehr möglich.
Also sprang Gurney ins kalte Wasser. »Wir vermuten ja, dass Flores nach Jillians Ermordung durch den Wald zu der Stelle gelaufen ist, wo die Machete gefunden wurde.«
Rodriguez rückte die Stahlgestellbrille zurecht. »Vermuten? Ich würde sagen, wir haben schlüssige Beweise.«
Gurney seufzte. »Das Dumme ist, es gibt Filmdaten, die dieser Hypothese widersprechen.«
Kline fing an, hektisch zu blinzeln. »Filmdaten?«
Sorgfältig erklärte Gurney, was die ununterbrochene Sichtbarkeit des Baumstamms auf dem Hochzeitsfilm bewies: Flores konnte nicht den angenommenen Weg durch den Wald eingeschlagen haben, da er andernfalls die in dieser Ecke des Geländes postierte Kamera hätte passieren und, wenn auch nur flüchtig, im Bild hätte erscheinen müssen.
Rodriguez runzelte die Stirn wie jemand, der einen Schwindel wittert, ihn aber nicht durchschaut. Anderson runzelte die Stirn wie einer, der gegen den Schlaf ankämpft. Wigg blickte von ihrem Notebook auf, was Gurney als Zeichen von großem Interesse deutete.
»Dann ist er eben hinter dem Baum vorbei«, meinte Blatt. »Wo soll das Problem sein?«
»Das Problem ist das Gelände, Arlo. Das haben Sie doch sicher überprüft.«
»Was für ein Geländeproblem meinen Sie?«
»Die Schlucht. Um vom Cottage zum Fundort der Machete zu gelangen, ohne vor dem Baum vorbeizukommen, müsste man direkt nach hinten laufen, einen steilen Hang mit vielen losen Steinen hinunterklettern und sich auf dem felsigen, unebenen Boden der Schlucht hundertfünfzig Meter weit bis zur nächsten Stelle durchschlagen, wo man wieder hinaufsteigen kann. Und selbst dort wäre es nicht leicht, weil die Erde ziemlich rutschig ist. Außerdem landet man dann weit entfernt vom Fundort der Machete.«
Blatt seufzte, als hätte er das alles längst bedacht. »Kann sein, dass es nicht leicht war, aber trotzdem hat er es gemacht.«
»Wir müssen auch den Zeitfaktor berücksichtigen.«
»Das heißt?«, fragte Kline.
»Ich hab mich in der Gegend ziemlich genau umgeschaut. Die Strecke über die Schlucht bis zum Fundort der Machete dauert einfach viel zu lang. Er wäre dort bestimmt nicht rumgeklettert in dem Wissen, dass gleich die Leiche entdeckt wird und überall Leute herumlaufen. Dazu kommen noch zwei große Probleme. Erstens, wieso macht er es sich so verdammt schwer, wenn er die Machete doch überall abwerfen kann? Zweitens, und das ist sicher der entscheidende Punkt, folgt die Geruchsfährte der Strecke vor dem Baum und nicht dahinter.«
»Moment mal«, wandte Rodriguez ein. »Sie widersprechen sich doch selbst. »Ihrer Meinung nach beweisen all diese Faktoren, dass Flores die Strecke vor dem Baum genommen hat, aber der Film beweist, dass es nicht so ist. Wie soll das denn aufgehen?«
»Wie eine Gleichung mit einem dicken Fehler«, erwiderte Gurney. »Und wo dieser Fehler liegt, kann ich beim besten Willen noch nicht erkennen.«
In den nächsten eineinhalb Stunden fragten ihn die Anwesenden nach der Zuverlässigkeit des Filmzeitcodes, der Möglichkeit herausgeschnittener Bilder, der Position des Kirschbaums im Verhältnis zum Cottage, der Machete und der Schlucht. Sie holten die Tatortskizzen aus dem Hauptordner, ließen sie herumgehen und studierten sie. Sie erzählten Anekdoten über die fabelhaften Fähigkeiten und Leistungen von Hundestaffeln. Sie diskutierten über alternative Fluchtwege von Flores nach dem Ablegen der Mordwaffe, über Kiki Mullers mögliche Verstrickung als Helferin, über Zeitpunkt und Gründe ihres Todes. Sie äußerten Spekulationen zur Psychopathologie eines Täters, der seinen Opfern den Kopf abtrennte. Doch einer Lösung des zentralen Rätsels kamen sie damit keinen Schritt näher.
Rodriguez fasste das Ergebnis kurz und bündig zusammen. »Laut Dave Gurney besteht in zwei Punkten absolute Sicherheit. Erstens musste Hector Flores vor dem Kirschbaum vorbei. Zweitens kann es nicht so gewesen sein.«
»Eine äußerst interessante Situation.« Gurney empfand den Widerspruch als elektrisierend.
»Vielleicht sollten wir eine kurze Mittagspause einlegen.« Für den Captain schien das Ganze weniger elektrisierend als
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