Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Walls
Vom Netzwerk:
ganze Gesicht und drückte mich, während er erklärte, er müsse noch die Scharniere anbringen, aber die Tür hätte er erst vor kurzem im Keller eines anderen leer stehenden Hauses aufgestöbert.
    Mom kam angelaufen und grinste so breit, dass ihre Backenzähne zu sehen waren, und umarmte mich herzhaft. Dad scheuchte eine Katze von einem Stuhl - sie hatten bereits ein paar streunende Katzen aufgenommen - und bot mir einen Platz an. Der Raum war voll gestopft mit kaputten Möbeln, Kleiderbündeln, Bücherstapeln und Moms Malsachen. Vier oder fünf elektrische Heizöfchen bliesen vor sich hin. Mom sagte, Dad hibe jede besetzte Wohnung im Haus an ein Kabel angeschlossen, mit dem er einen Strommast auf der Straße angezapft hatte. »Dank deinem Vater ist auch der Strom umsonst«, sagte Mom. »Ohne ihn könnte keiner hier im Haus überleben.«
    Dad lachte bescheiden in sich hinein. Er sagte, das Ganze sei knifflig gewesen, weil die Elektroinstallationen im Haus uralt seien. »So was hab ich noch nie gesehen«, sagte er. »Die Schaltpläne waren bestimmt noch in Hieroglyphen geschrieben.«
    Ich schaute mich um, und plötzlich fiel mir auf, dass es in dieser besetzten Wohnung an der Lower East Side ganz ähnlich aussah wie in dem Haus in der Little Hobart Street, man musste nur die Heizöfchen durch einen Kohleofen ersetzen. Ich war einmal aus Welch geflüchtet, und jetzt, als ich die altvertrauten Gerüche einatmete - Terpentin, Hundefell und schmutzige Wäsche, schales Bier, Zigarettenqualm und ungekühlte Lebensmittel, die langsam verrotten -, hätte ich am liebsten Reißaus genommen. Aber Mom und Dad waren sichtlich stolz auf ihre vier Wände, und während sie mir von den anderen Hausbesetzern und ihren neuen Freunden in der Nachbarschaft und dem gemeinsamen Kampf gegen das städtische Wohnungsamt erzählten - wobei sie sich vor lauter Begeisterung immer wieder gegenseitig ins Wort fielen, um irgendetwas richtig zu stellen und Lücken zu füllen -, begriff ich, dass sie hier auf eine ganze Gemeinschaft von Gleichgesinnten gestoßen waren, auf Menschen, die wie sie ein wildes Leben führten und sich gegen Bürokraten wehrten und die es gar nicht anders haben wollten. Nachdem sie so viele Jahre wie die Nomaden umhergestreift waren, hatten sie ein Zuhause gefunden.
    Im selben Frühjahr machte ich am Barnard College mein Examen. Brian kam zu der Abschlussfeier, aber Lori und Maureen mussten arbeiten, und Mom sagte, es würden sowieso nur langweilige Reden über den beschwerlichen Weg des Lebens gehalten. Ich hätte Dad gern dabeigehabt, fürchtete aber, dass er betrunken zu der Feier auftauchen und den Festredner mit kritischen Einwänden unterbrechen könnte.
    »Das kann ich einfach nicht riskieren, Dad«, sagte ich zu ihm.
    »Dann eben nicht«, sagte er. »Ich muss nicht unbedingt sehen, wie meine Bergziege das Zeugnis überreicht bekommt, ich weiß auch so, dass sie ihren Abschluss in der Tasche hat.«
    Die Zeitschrift, für die ich drei Tage in der Woche arbeitete, hatte mir eine volle Stelle angeboten. Jetzt brauchte ich auch eine richtige Wohnung. Seit einiger Zeit war ich mit einem Mann namens Eric zusammen, einem Freund von Loris exzentrisch genialen Freunden. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, hatte ein kleines Unternehmen und lebte allein in einer Wohnung auf der Park Avenue. Er war ein nüchtern denkender, fast obsessiv methodischer Mensch, der seinen Terminkalender akribisch führte und ohne Ende Baseball-Statistiken aufsagen konnte. Aber er war anständig und verantwortungsbewusst, spielte nie um Geld, verlor nie die Beherrschung und zahlte stets pünktlich seine Rechnungen. Als ich ihm erzählte, dass ich mir jemanden suchen wolle, mit dem ich mir eine Wohnung teilen könnte, schlug er vor, ich solle zu ihm ziehen. Schon die Hälfte der Miete sei für mich unerschwinglich, sagte ich, und ich würde nicht dort einziehen, wenn ich meinen Anteil nicht bezahlen könnte. Daraufhin schlug er vor, ich sollte am Anfang nur so viel zahlen, wie ich könnte, und den Betrag dann sukzessive bei jeder Gehaltserhöhung steigern. Er stellte es dar wie ein Geschäftsangebot - aber ein seriöses und nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht hatte, sagte ich Ja.
    Als ich Dad von meinen Plänen erzählte, nahm er mich beiseite und fragte, ob Eric mich glücklich machte und gut behandelte. »Falls nämlich nicht«, sagte er, »tret ich ihm so fest in den Hintern, dass er nicht mehr weiß, wo vorn und hinten ist.«
    »Er

Weitere Kostenlose Bücher