Schloss der Engel: Roman (German Edition)
oben und kuschelte mich kurze Zeit später in mein Fast-Himmelbett, mit Blick in die Wolken – die Sterne wollte ich mir herbeiträumen.
Leider verpasste ich sie. Stattdessen riss mich einer meiner Albträume aus dem Schlaf: Ein in fliegende Gewänder gehülltes Wesen zerrte an meiner linken, eine lichtlose, vermummte Gestalt an meiner rechten Seite. Beide wollten mich zu sich ziehen, bis ich schließlich mit zitternden Fingern meine Nachttischlampeanknipste, um mich zu versichern, dass ich tatsächlich allein in meiner Kammer war.
Dick eingepackt in meine neue Daunenjacke, um gegen die Kälte gewappnet zu sein, überquerte ich am nächsten Morgen den Hof und meldete mich pünktlich, zehn Minuten nach zehn, im Sekretariat. Das Frühstück ließ ich ausfallen. Ich war weder hungrig, noch hatte ich, nach dieser unruhigen Nacht, Lust früh aufzustehen, um mir in der Mensa neben irgendjemandem, den ich nicht kannte, einen Platz zu suchen.
Frau Germann, die Rektorin, wartete bereits auf mich. Der dunkel gebeizte Schreibtisch, auf dem neben einem Telefon und einer ledernen Schreibmappe nur ein auffallend roter Ordner lag, wirkte geradezu zierlich angesichts ihrer beeindruckenden Körpergröße.
»Hallo Linde. Schön, dich kennenzulernen. Konntest du in deinem neuen Zimmer gut schlafen?«
»Ja, wie eine Prinzessin«, antwortete ich – immerhin hatte ich ein Himmelbett in einem Schloss. Und dass ich schon in der ersten Nacht von Albträumen verfolgt wurde, brauchte sie ja nicht zu wissen.
Frau Germann schaute irritiert auf mich herab und strich sich mehrmals über den Rock ihres marineblauen Kostüms, bevor sie ihre rahmenlose Lesebrille zurechtrückte und mich aufforderte, Platz zu nehmen. Anscheinend hatte ich sie aus dem Konzept gebracht.
»Schön, ... dann können wir ja anfangen. Am besten erkläre ich dir zuerst, welche Räume du wo findest, bevor wir den Lernstoff der einzelnen Fächer durchgehen, damit du weißt, was du nachholen musst.«
Ich unterdrückte den Seufzer, den das Wort nachholen bei mir auslöste, und betrachtete das Luftbild, mit dessen Hilfe Frau Germann mir die verschiedenen Gebäude erklärte. Neben demSchloss gab es eine Sporthalle mit einem Kunstrasenplatz, mehrere Wohntrakte für die Unter- und Mittelstufe, natürlich die üblichen Klassen- und Fachräume sowie das Gelbe Haus, das die Schlafräume der Mädchen meiner Klassenstufe und die Kantine beherbergte.
Schließlich legte Frau Germann den roten Ordner in die Mitte des Tisches und öffnete ihn geradezu ehrfürchtig langsam. Für jedes Fach war fein säuberlich aufgelistet, was ich wissen musste. Nach zwei quälenden Stunden intensiven Verhörs fragte ich mich, wo oder eher ob ich mit dem Lernen überhaupt anfangen sollte.
»Die Schulbücher findest du in deinem Spind. Den Schlüssel und die Materialliste gibt dir Herr Sander. Und vergiss nicht, morgen deine Lernliste im Sekretariat abzuholen! Bis dahin habe ich sie fertig.« Frau Germanns strengen, stets wachsamen Gesichtszügen war abzulesen, dass sie nicht akzeptieren würde, wenn ich mich weigerte, ihren Plan bis Ferienende durchzuarbeiten.
»Und falls du deinen Eltern kurz Bescheid sagen möchtest, dass du gut angekommen bist, kannst du jetzt von meinem Apparat aus telefonieren. Oder du rufst nächsten Freitag an, der ist für die K1 reserviert – außer bei Notfällen natürlich. Bis das Sekretariat schließt, kannst du dort das Telefon benutzen. Mit dem Handyempfang ist es hier nämlich ein bisschen schwierig. Da musst du schon zur Meierei hoch oder ins Nachbardorf laufen, wenn du eine gute Verbindung haben möchtest. Dort bekommst du auch Handykarten. Ansonsten sehen wir uns erst nach den Ferien wieder. Bis dahin hast du dich bestimmt ein wenig bei uns eingelebt.«
Natürlich nutzte ich Frau Germanns Angebot, obwohl ich bereits am Abend zuvor mit meinen Eltern telefoniert hatte, doch leider war niemand zu Hause. So hinterließ ich nur eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter.
Um noch rechtzeitig zum Mittagessen zu kommen, hetzte ichzur Mensa. Das Wissenslückengespräch mit Frau Germann war mir auf den Magen geschlagen, weshalb ich mir erst mal nur eine Banane schnappte, die ich bei den großen Aussichtsfenstern verdrückte.
»Isst man in Italien nicht zu Mittag?«
Ich drehte mich zu der hübschen Rothaarigen mit den auffälligen, wasserblauen Augen um und hielt ihr die halbleere Bananenschale entgegen.
»Ich seh schon, du konntest dich nicht zwischen der orangeroten
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