Schloß Gripsholm
is, Ordnung muß sein, auch inne vierte
Dimenzion …! Und …“ Rrrums — der Zug rangierte. Wir
fielen aneinander. Und dann erzählte sie weiter und erklärte
mir jedes Haus am Strom, soweit man sehen konnte.
„Da — da is das Haus, wo die alte Frau Brüshaber in
giewohnt hat, die war eins so fühnsch, daß ich ’n bessres
Zeugnis gehabt hab als ihre Großkinder; die waren ümme
so verschlichen … und da hat sie von ’n ollen Wiedow, dem
Schulderekter, gesagt: Wann ick den Kierl inn Mars hat, ick
scheet em inne Ostsee! Un das Haus hat dem alten Lauf-
müller giehört. Den kennst du nich auße Weltgeschichte?
Der Laufmüller, der lag sich ümme inne Haaren mit die
hohe Obrigkeit, was zu diese Zeit den Landrat von der
Decken war, Landrat Ludwig von der Decken. Und um ihn
zu ägen, kaufte sich der Laufmüller einen alten räudigen
Hund, und den nannte er Lurwich, und wenn nu Landrat
von der Decken in Sicht kam, denn rief Laufmüller seinen
Hund: Lurwich, hinteh mich! und denn griente Laufmüller
so finsch, und den Landrat ärgerte sich … un davon ha-
ben wi auch im Schohr 1918 keine Revolutschon giehabt.
Ja.“ — „Lebt der Herr Müller noch?“ fragte ich. „Ach Gott,
neien — he is all lang dod. Er hat sich giewünscht, er wollt
an Weg begraben sein, mit dem Kopf grade an Weg.“ —
„Warum?“ — „Dscha … daß er den Mächens so lange als
möchlich untere Röck … Der Zoll!“ Der Zoll.
Europa zollte. Es betrat ein Mann den Raum, der fragte
höflichst, ob wir … und wir sagten: nein, wir hätten nicht.
Und dann ging der Mann wieder weg. „Verstehst du das?“
fragte Lydia. „Ich versteh es nicht“, sagte ich. „Es ist ein
Gesellschaftsspiel und eine Religion, die Religion der Va-
terländer. Auf dem Auge bin ich blind. Sieh mal — sie kön-
nen das mit den Vaterländern doch nur machen, wenn sie
Feinde haben und Grenzen. Sonst wüßte man nie, wo das
eine anfängt und wo das andre aufhört. Na, und das ginge
doch nicht, wie …?“ Die Prinzessin fand, daß es nicht
ginge, und dann wurden wir auf die Fähre geschoben.
Da standen wir in einem kleinen eisernen Tunnel, zwi-
schen den Dampferwänden. Rucks — nun wurde der Wa-
gen angebunden. „Wissen möchte ich … ,“ sagte die Prin-
zessin, „warum ein Schiff eigentlich schwimmt. Es wiegt
so viel: es müßte doch untergehn. Wie ist das! Du bist
doch einen studierten Mann!“ — „Es ist … der Luftgehalt
in den Schotten … also paß mal auf … das spezifische Ge-
wicht des Wassers … es ist nämlich die Verdrängung …“ —
„Mein Lieber,“ sagte die Prinzessin, „wenn einer übermäßig
viel Fachausdrücke gebraucht, dann stimmt da etwas nicht.
Also du weißt es auch nicht. Peter, daß du so entsetzlich
dumm bist — das ist schade. Aber man kann ja wohl nicht
alles beieinander haben.“ Wir wandelten an Bord.
Schiffslängs — backbord — steuerbord … ganz leise
arbeiteten die Maschinen. Warnemünde blieb zurück, un-
merklich lösten wir uns vom Lande. Vorbei an der Mole —
da lag die Küste.
Da lag Deutschland. Man sah nur einen flachen, bewal-
deten Uferstreifen und Häuser, Hotels, die immer kleiner
wurden, immer mehr zurückrückten, und den Strand …
War dies eine ganz leise, winzige, eine kaum merkbare
Schaukelbewegung? Das wollen wir nicht hoffen. Ich sah
die Prinzessin an. Sie spürte sogleich, wohinaus ich wollte.
„Wenn du käuzest, min Jung,“ sagte sie, „das wäre ein Zück-
zeh fuh!“ — „Was ist das?“ — „Das ist Französisch“ — sie
war ganz aufgebracht — „nu kann der Dschung nich mal
Französch, un hat sich do Jahrener fünf in Paris feine Bil-
dung bielernt … Segg mohl, was hasse da eigentlich inne
ganze Zeit giemacht? Kann ich mi schon lebhaft vorstelln!
Ümme mit die kleinen Dirns umher, nöch? Du bischa
einen Wüstling! Wie sind denn nun die Französinnen?
Komm, erzähl es mal auf Lydia — wir gehn hier rauf und
runter, immer das Schiff entlang, und wenn dir schlecht
wird, dann beugst du dich über die Reling, das ist in den
Büchern immer so. Erzähl.“
Und ich erzählte ihr, daß die Französinnen sehr ver-
nünftige Wesen seien, mit einer leichten Neigung zu Ka-
pricen, die seien aber vorher einkalkuliert, und sie hätten
pro Stück meist nur einen Mann, den Mann, ihren Mann,
der auch ein Freund sein kann, natürlich — und dazu viel-
leicht auch anstandshalber einen Geliebten, und wenn
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