Schloß Gripsholm
möchtest du denn?“ Das Kind hatte ein paar-
mal vor sich hingedruckst, hatte angesetzt und wieder ab-
gesetzt. „Na?“ — Nein, aufs Töpfchen mußte sie nicht. Sie
wollte etwas fragen. Und tat es.
„Sind Sie Landstreicher?“ Wir sahen uns entgeistert an.
„Die Frau Adriani hat gesagt …“ Es stellte sich heraus, daß
die Frau Adriani uns dem Kind als passionierte, ja als pro-
fessionelle Landstreicher hingestellt hatte — „diese Land-
streicher da draußen, die nicht mal verheiratet sind!“ — und
das Kind, das jetzt völlig aufgetaut war, wollte nun alles
wissen; ob wir Landstreicher wären, und was wir denn da
anstrichen … und ob wir schon mal verheiratet gewesen
wären und warum nun nicht mehr, und dann mußte es
aufs Töpfchen, und dann brachten wir es zu Bett. Ich er-
tappte mich dabei, ein wenig eifersüchtig auf das Kind ge-
wesen zu sein. Wer war hier Kind? Ich war hier Kind. Nun
aber schlief es, und Lydia gehörte mir wieder allein.
„Bist du verheiratet?“ fragte die Prinzessin. „Na, das hat
noch gefehlt!“ — „Alte“, sagte ich. „Nein, wir Landstrei-
cher, wir sind ja nicht verheiratet. Und wenn wir es wä-
ren … Fünf Wochen, das ginge gut, wie? Ohne ein Wölk-
chen. Kein Krach, keine Proppleme, keine Geschichten.
Fünf Wochen sind nicht fünf Jahre. Wo sind unsre Küm-
mernisse?“ — „Wir haben sie in der Gepäckaufbewah-
rungsstelle abgegeben … das kann man machen“, sagte die
Prinzessin. „Für fünf Wochen“, sagte ich. „Für fünf Wo-
chen geht manches gut, da geht alles gut.“ Ja … vertraut,
aber nicht gelangweilt; neu und doch nicht zu neu — frisch
und doch nicht ungewohnt: scheinbar unverändert lief das
Leben dahin … Die Hitze der ersten Tage war vorbei, und
die Lauheit der langen Jahre war noch nicht da. Haben wir
Angst vor dem Gefühl? Manchmal, vor seiner Form. Kur-
zes Glück kann jeder. Und kurzes Glück: es ist wohl kein
andres denkbar, hienieden.
Wir rollten in Trälleborg ein. Es war spät abends; die
weißen Bogenlampen schaukelten im Winde, und wir sa-
hen zu, wie der Wagen auf die Fähre geschoben wurde.
Das Kind schlief schon.
Ein großer Passagierdampfer rauschte durch das Wasser
in den Hafen. Alle Lichter funkelten: vorn die Schiffslater-
nen, oben an den Masten kleine Pünktchen, alle Kammern,
alle Kajüten waren hell erleuchtet. Er fuhr dahin. Musik
wehte herüber.
Whatever you do —
my heart will still belong to you —
Eine Welle Sehnsucht schlug in unsre Herzen. Frem-
des erleuchtetes Glück — da fuhr es hin. Und wir wußten:
säßen wir auf jenem Dampfer und sähen den erleuchteten
Zug auf der Fähre, wir dächten wiederum — : da fährt es
hin, das Glück. Bunt und glitzernd fuhr das große Schiff
an uns vorüber, mit den Lichtpünktchen an seinen Masten.
Die schwitzenden Stewards sahen wir nicht, nicht die Ree-
der in ihren Büros, nicht den zänkischen Kapitän und den
magenkranken Zahlmeister … natürlich wußten wir, daß
es so etwas gibt — aber wir wollten es jetzt, in diesem ei-
nen Augenblick, nicht wissen.
Whatever you do —
my heart will still belong to you —
Unsere Herzen fuhren ein Stückchen mit.
Dann stand unser Wagen auf der Fähre. Das Schiff erzit-
terte leise. Die Lichter an der Küste wurden immer kleiner
und kleiner, dann versanken sie in der blauen Nachtluft.
Wir standen an Deck. Die Prinzessin sog den salzigen
Atem des Meeres ein. „Daddy — ich bedanke mich auch
schön für diesen Sommer!“ — „Nein, Alte — ich bedanke
mich bei dir!“ Sie sah über die dunkle See. „Das Meer …“
sagte sie leise, „das Meer …“ Hinter uns lag Schweden,
Schweden und ein Sommer.
Später saßen wir im Speisesaal in einer Ecke und aßen
und tranken. „Auf den Urlaub, Alte!“ — „Auf was noch?“
„Auf Karlchen!“ — „Hoch!“
„Auf Billie!“ — „Hoch!“
„Auf die Adriani!“ — „Nieder!“
„Auf deinen Generalkonsul!“ — „Mittelhoch!“
„Das sind alles keine Trinksprüche, Daddy. Weißt du
keinen andern? Du weißt einen andern. Na?“
Ich wußte, was sie meinte.
„Martje Flor“, sagte ich. „Martje Flor!“
Das war jene friesische Bauerntochter gewesen, die im
Dreißigjährigen Kriege von den Landsknechten an den
Tisch gezerrt wurde; sie hatten alles ausgeräubert, den
Weinkeller und die Räucherkammer, die Obstbretter und
den Wäscheschrank, und der Bauer stand daneben und
rang die
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