Schloß Gripsholm
sie
untreu seien, dann seien sie es mit leichtsinnigem Bedacht.
Beinah jede zweite Frau aber hätte einen Beruf. Und sie re-
gierten das Land ohne Stimmrecht — aber eben nicht mit
den Beinen, sondern durch ihre Vernunft. Und sie seien
liebenswürdige Mathematik und hätten ein vernünftiges
Herz, das manchmal mit ihnen durchginge, doch pfiffen
sie es immer wieder zurück. Ich verstände sie nicht ganz.
„Es scheinen Frauen zu sein“, sagte Lydia.
Die Fähre schaukelte nicht grade — sie deutete das nur
an. Auch ich deutete etwas an, und die Prinzessin befahl
mich in den Speiseraum. Da saßen sie und aßen, und mir
wurde gar nicht gut, als ich das sah — denn sie essen viel
Fettes in Dänemark, und dieses war eine dänische Fähre.
Die Herrschaften aßen zur Zeit: Spickaal und Hering, He-
ringsfilet, eingemachten Hering, dann etwas, was sie ‚sild‘
nannten, ferner vom Baum gefallenen Hering und Hering
schlechthin. Auf festem Land eins immer besser als das
andre. Und dazu tranken sie jenen herrlichen Schnaps, für
den die nordischen Völker, wie sie da sind, ins Himmel-
reich kommen werden. Die Prinzessin geruhte zu speisen.
Ich sah ehrfürchtig zu; sie war eßfest. „Du nimmst gar
nichts?“ fragte sie zwischen zwei Heringen. Ich sah die
beiden Heringe an, die beiden Heringe sahen mich an, wir
schwiegen alle drei. Erst als die Fähre landete, lebte ich
wieder auf. Und die Prinzessin strich mir leise übers Knie
und sagte ehrfürchtig: „Du bischa meinen kleinen Klaus
Störtebeker!“ und ich schämte mich sehr.
Und dann ruckelten wir durch Laaland, das dalag, flach
wie ein Eierkuchen, und wir kramten in unsern Zeitun-
gen, und dann spielten wir das Bücherspiel: jeder las dem
andern abwechselnd einen Satz aus seinem Buch vor, und
die Sätze fügten sich gar schön ineinander. Die Prinzessin
blätterte die Seiten um, ich sah auf ihre Hände … sie hatte
so zuverlässige Hände. Einmal stand sie im Gang und sah
zum Fenster hinaus, und dann ging sie fort, und ich sah
sie nicht mehr. Ich tastete nach ihrem Täschchen, es war
noch warm von ihrer Hand. Ich streichelte die Wärme.
Und dann setzten sie uns wieder über ein Meerwasser,
und dann rollten wir weiter, und dann — endlich! end-
lich! — waren wir in Kopenhagen.
„Wenn wir nach hinten heraus wohnen,“ sagte ich im
Hotel, „dann riecht es nach Küche, und außerdem muß
noch vom vorigen Mal ein besoffener Spanier da sein, der
komponiert sich seins auf dem Piano, und das macht er
zehn Stunden lang täglich. Wenn wir aber nach vorne her-
aus wohnen, dann klingelt da alle Viertelstunde die Rat-
hausuhr und erinnert uns an die Vergänglichkeit der Zeit.“
„Könnten wir nicht in der Mitte … ich meine …“ Wir
wohnten also nach dem Rathausplatz zu, und die Uhr klin-
gelte, und es war alles sehr schön.
Lydia pickte auf ihrem Teller herum, mir sah sie be-
wundernd zu. „Du frißt …“ sagte sie freundlich. „Ich habe
schon Leute gesehen, die viel gegessen haben — und auch
Leute, die schnell gegessen haben … aber so viel und so
schnell …“ — „Der reine Neid —“ murmelte ich und fiel
in die Radieschen ein. Es war kein feines Abendessen, aber
es war ein nahrhaftes Abendessen.
Und als sie sich zum Schlafen wendete und grade die
Rathausuhr geklingelt hatte, da sprach sie leise, wie zu
sich selbst:
„Jetzt auf See. Und dann so ein richtig schaukelndes
Schiff. Und dann eine Tasse warmes Maschinenöl …“ Und
da mußte ich aufstehn und viel Selterwasser trinken.
4
Ja, Kopenhagen.
„Soll ich dir das Fischrestaurant zeigen, in dem Luden-
dorff immer zu Mittag gegessen hat, als er noch eine Denk-
malsfigur war?“ — „Zeig es mir … nein, gehen wir lieber
auf Lange Linie!“ — Wir sahen uns alles an: den Tivolipark
und das schöne Rathaus und das Thorwaldsen-Museum, in
dem alles so aussieht, wie wenn es aus Gips wäre. „Lydia!“
rief ich, „Lydia! Beinah hätt ich es vergessen! Wir müssen
uns das Polysandrion ansehn!“ — „Das … was?“ — „Das
Polysandrion! Das mußt du sehn. Komm mit.“ Es war ein
langer Spaziergang, denn dieses kleine Museum lag weit
draußen vor der Stadt.
„Was ist das?“ fragte die Prinzessin.
„Du wirst ja sehn“, sagte ich. „Da haben sich zwei Bal-
ten ein Haus gebaut. Und der eine, Polysander von Kuckers
zu Tiesenhausen, ein baltischer Baron, vermeint, malen zu
können. Das kann er aber nicht.“ — „Und
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