Schlüsselherz (German Edition)
Gemalten waren meist nicht willens, das Stück Seele wieder herzugeben, und bedienten sich allerlei Tricks. Er musste das Bild also sicher nach draußen bringen, jedoch zuerst die Puppe Esra suchen. Auf einem runden Beistelltisch stand eine Vase mit echten Blumen darin. Diese waren zwar bereits verwelkt, doch das Behältnis war dennoch mit ausreichend schmierigem Wasser gefüllt. Er kippte es über die Tischdecke, nahm diese vom Tisch und hob das Bild behutsam von der Wand.
„ Was machen Sie denn?“, beschwerte sich der Gemalte.
Nathaniel sparte seinen Atem. Der Rauch wurde immer beißender und Coffee zeigte durch sein Tänzeln, dass er Angst bekam und nicht mehr lange unter seiner Kontrolle bleiben würde. Er wickelte das Bild in die feuchte Tischdecke und klemmte es sich unter die Achsel.
„ He, lassen Sie das! Das ist nicht rechtens. Das dürfen Sie nicht, ich kann doch nichts mehr sehen!“
Mit einer geknurrten Verwünschung hievte er sich aufs Pferd, das Bild sicher unter den Arm geklemmt. Er musste husten, doch ve r kniff es sich, um danach die Branddämpfe nicht noch tiefer einzua t men. Die Sirenen und Schreie der Menschen hörte er nicht mehr, so laut wütete das Feuer inzwischen im Dach. Die Hitze wurde immer bestialischer, lange würden es weder sein Pferd noch er hier drin aushalten.
Aber er konnte auch nicht hinausreiten, solange er befürchten musste, dass Esra noch hier war.
***
Valender bewegte sich wie ferngesteuert.
Seine Gedanken, eben noch glühend heiß vor Zorn und Angst um seine Schwester, schienen zu einem wabernden Nebel verdampft zu sein, der nichts mehr greifen und fokussieren konnte. Doch sein Körper bewegte sich unbeirrbar mit einem einzigen Ziel: Melissa zu retten.
Einem ersten Impuls folgend, wollte er die Haustür aufbrechen, doch etwas flüsterte ihm durch das Chaos in seinem Kopf zu, dass dies dumm gewesen wäre. Diese Männer schreckten nicht einmal davor zurück, ein wehrloses Mädchen zu entführen (zu welchem Zweck auch immer). Es war ihnen zuzutrauen, dass sie bewaffnet waren und Melissa verletzen würden. Er sollte sich still verhalten, leise, leise.
Er legte die Hand auf den kupfernen Türknauf. Es geschah sofort, als hätte sein magischer Makel ein instinktives Eigenleben. Der Knauf wurde heiß, Valender spürte, wie die Hitze, die er erzeugte, durch das Metall ins Innere des Türschlosses drang. Die Hitze war wie sein Atem, den er dorthin hauchte, wo er ihn benötigte. Dann konzentrierte er sich einen Moment allein aufs Feuer, und die Hitze explodierte und schmolz das Türschloss. Es roch nach glühendem Kupfer und angesengtem Holz. Die Tür ließ sich öffnen, und Vale n der huschte in Fothergills Haus.
Schnell sah er sich um. Zwei feuchte Mäntel hingen an der Gard e robe – zwei Männer also. Mit denen würde er fertig werden. Aus der Wohnstube ertönten Geräusche, dort mussten sie sein. Melissa alle r dings hatte der eine Mann in eine andere Richtung getragen. Er lugte durch die erste Tür, es war die Küche und sie war leer. Er schlich am Wohnzimmer vorbei, erkannte beim Hineinsehen, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Zwei größere Gestalten – Männer. Gesehen hatten sie ihn nicht. Ehe er sie angriff, musste er Melissa und Cera – den Gedanken, sie könnte doch nicht hier sein, verbot er sich – in Sicherheit bringen. Den Kerlen war alles zuzutrauen, auch weitere Helfer, die den Frauen gefährlich werden konnten.
Die Türen zu den nächsten Zimmern waren geschlossen. Hinter der ersten fand sich eine Besenkammer. Als er die zweite vorsichtig öffnete, musste er einen Schrei unterdrücken.
Melissa.
Sie lag auf einem breiten Bett, ihr Körper entblößt bis auf die u n schuldige, kindliche Unterwäsche. Valenders Kehle wurde zu eng, um Atem durchzulassen. Er schloss die Tür, eilte zu ihr und fühlte ihren Puls. Sie lebte, es wirkte fast, als schliefe sie nur, bloß war di e ser Schlaf ungewöhnlich tief. Sie mussten sie betäubt haben. In ihrer linken Armbeuge steckte eine Kanüle in der blassen Vene. Er stre i chelte ihren Unterarm, ihre Wangen und ihre Stirn, aber sie reagierte nicht.
Warum nur – warum sie? Und was hatten die mit ihr vor?
Fahrig rieb er sich die Stelle zwischen den Augenbrauen. Er mus s te unbedingt seine Nervosität und seine Sorge in den Griff beko m men, um nachzudenken. Dass sie ausgerechnet seine kleine Schwe s ter hergebracht hatten, musste etwas bedeuten.
Behutsam wickelte er Melissa in die Bettdecke
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